Verlag und Bibelstudien-Vereinigung e. V.

„Warum verfolgst du mich” (Apostelgeschichte 9:1-20)

Lesedauer: 11 Minuten

„Das Wort ist gewiß und aller Annahme wert, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten, von welchen ich der erste bin.”

1. Timotheus 1:15

Saulus’ grundlegende Wandlung vom Feind Christi und seiner Kirche zu einem Freund und eifrigen Diener wird allgemein ‚Bekehrung’ genannt. Wir sind jedoch der Meinung, daß der Begriff ‚Bekehrung’ in diesem Fall kaum angemessen ist. Saulus von Tarsus war weder ein schlechter Mensch und, wie es viele waren, ein scheinheiliger Pharisäer, geldliebend und ichbezogen, sondern er war ein wahrer Israelit, dessen Zweck und Ziel der Dienst für Gott war, und der durch die frühe Kirche durch seine Ergebenheit Gott gegenüber motiviert war. Wir glauben, daß die letztgenannte Beschreibung in seinem Fall zutrifft. Sie stimmt mit seinem eigenen Zeugnis überein: „Ich dachte wahrlich, Gott einen Dienst zu tun.” Wenn nun Saulus nicht nur ein Glied des begnadeten Volkes Israel war, sondern auch darin treu und loyal, dem Herrn völlig ergeben, und ihm nach bestem Wissen und Vermögen diente, aber nur damals verblendet durch Vorurteil und falsche Auffassungen, können wir ihn betreffend nicht weiterhin von einer Bekehrung sprechen, wie es auch bei den anderen Aposteln nicht der Fall ist. Der Herr hat die ersten zwölf Apostel ausgesucht, weil sie wahre Israeliten waren, und er ließ ihnen die nötige Unterweisung zukommen zu seinem Dienst. Und das tat der Herr auch mit Saulus, eben auf spektakulärere Art. Das Wort ‚bekehren’ bedeutet, die entgegengesetzte Richtung einschlagen. Doch Paulus hatte bereits die richtige Richtung eingeschlagen, nämlich den Dienst für Gott von ganzem Herzen, wenn sich auch seine Leistung auf das Falsche – in der richtigen Richtung erstreckte. Der Herr hat lediglich seine Augen zum Verstehen geöffnet und ihm korrigierend gezeigt, wohin sich seine Bemühungen richten sollten. Saulus bedurfte keiner Bekehrung, er mußte nur auf den richtigen Weg gelenkt werden. Und er stellte dies nun unter Beweis durch genausoviel Treue und Energie im Dienst des Herrn, wie er diese Qualitäten davor falsch eingesetzt hatte.

Saulus gehörte zu den Israeliten, die unter heidnischer Bevölkerung lebten, die aber zu bestimmten Festen gelegentlich hinauf nach Jerusalem reisten. Seine Heimatstadt war Tarsus, eine der bedeutendsten Städte damals, von der es hieß, sie könne sich an Gelehrsamkeit und in den Künsten mit Alexandria und Athen messen. Saulus genoß nicht nur den Vorzug, in solch einer Stadt zu wohnen, seine Familie war zudem einflußreich, was sich daran ablesen läßt, daß er sowohl Bürger von Tarsus, als auch römischer Bürger war. Zusätzlich zu seiner Ausbildung in seiner Heimatstadt hatte er in Jerusalem einen besonderen Lehrgang in Theologie oder jüdischem Recht absolviert, und zwar unter Gamaliel, einem der bedeutendsten Professoren der damaligen Zeit. Seine Ausbildung in jungen Jahren und die ganzen damit einhergehenden Verhältnisse waren geeignet, ihm Weite und Tiefe der Gedankenwelt zu vermitteln, die wenige erreichten. Und diese Voraussetzungen, gepaart mit Rechtschaffenheit, Aufrichtigkeit und Eifer für Gott – wenn auch zunächst ohne rechte Erkenntnis – befähigten ihn, genau das zu werden, was der Herr dann aus ihm machte, nämlich: „… ein auserwähltes Gefäß, meinen Namen zu tragen sowohl vor Nationen als Könige und Söhne Israels.” – Apostelgeschichte 9:15

Es ist denkbar, daß die Ereignisse anläßlich der Steinigung von Stephanus in Saulus größere Energie weckte das auszumerzen, was er als schädliche Lehre, als Ketzerei ansah. Aus eigener Erfahrung wissen wir, daß man einen ernsthaften, überzeugten Gegner mehr respektiert als einen kalten, gleichgültigen sogenannten Freund, und wir denken an die Worte des Herrn: „Ach, daß du kalt oder warm wärest! Also weil du lau bist und weder kalt noch warm, so werde ich dich ausspeien aus meinem Munde.” – Offenbarung 3:15 ff. Laßt uns also zu denen aufschauen, die ein warmes Herz haben und eifrig sind, und berücksichtigen, daß dort mehr Hoffnung besteht, daß sie Gott willkommen sind und sie für würdig geachtet werden, die Wahrheit anzunehmen, als es die Lauen sind.

Unter der Verwaltung der römischen Herrschaft verfügte die jüdische Priesterschaft über beträchtliche Macht, und sie übte sie auch aus. Diese Machtfülle glich später der des Papstes in Rom. Sie waren befugt, Arreste und Haftstrafen für Vergehen gegen ihre Religionsgebote und Vorschriften anzuordnen. Indem Saulus dem Gesetz und den Herrschenden die gleiche Beachtung schenkte, die danach sein ganzes Handeln und seine Verkündigung als Christ auszeichneten, machte er nicht den Versuch, bei der Verfolgung der Christen die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, sondern er befaßte sich damit völlig gesetzeskonform, nämlich gemäß dem Strafkanon und der Vollmacht des höchsten Gerichts für Religionsangelegenheiten. Bekanntlich sind alle Verfolgungen durch menschliche Gesetze angeordnet worden und unterstellen uns dem göttlichen Gesetz.

Der hier vorliegende Bericht, in dem es darum geht, wie Saulus’ Augen des Verständnisses geöffnet wurden, stammt von Lukas, der ihn zweifellos von Apostel Paulus selbst erhielt, mit dem Lukas eine Zeitlang gereist ist. Zwei weitere Berichte kennen wir von Apostel Paulus selbst. – vergleiche Apostelgeschichte 22:6 – 11 und 26:12 – 20 Diese drei Berichte stimmen im Wesentlichen überein, und die Abweichungen sind erwartbar, wenn man den jeweiligen situativen Zusammenhang berücksichtigt, aus dem heraus andere Punkte betont oder herausgestellt werden sollten. Wenn alle drei Darstellungen genau und Wort für Wort gleich gewesen wären, dann könnte man daraus schließen, daß die Texte mit genau der Absicht der Übereinstimmung präpariert worden sind. Selbst ihre scheinbaren Abweichungen sind, bei Licht betrachtet, zusätzliche Beweise für ihre Echtheit. Da der Bericht selbst schlicht ist, wird man besonders auf die Stellen achten, die einander anscheinend widersprechen. Aus allen drei Zitaten geht hervor, daß Saulus die Stimme hörte, das Licht sah und zu Boden fiel. Einmal wird dazugesetzt, daß alle seine Begleiter auch zu Boden fielen. Im Bericht aus unserem Leittext heißt es: „Die Männer aber … standen sprachlos, da sie wohl die Stimme hörten, aber niemand sahen.” In einem anderen Bericht heißt es: „Die … sahen zwar das Licht, aber die Stimme dessen, der mit mir redete, hörten sie nicht.” Diese Darstellungen können so zur Übereistimmung gebracht werden: Saulus war erkennbar das Zentrum der Erscheinung – „daß … aus dem Himmel ein großes Licht mich umstrahlte”. Seine Begleiter sahen ohne Zweifel etwas von diesem Licht, aber haben die Quelle des Lichts nicht wahrgenommen; sie haben den Herrn Jesus in seiner Glorie nicht gesehen: „aber niemand sahen”. Saulus jedoch sah den verherrlichten Körper unseres Herrn, was er danach bestätigte: „… am letzten aber von allen … erschien er auch mir.” – 1. Korinther 15:8 Er allein war zu Boden geworfen worden, die übrigen standen sprachlos und äußerst erschrocken da, und höchstwahrscheinlich knieten sie ehrerbietig um ihren Anführer nieder. Was nun die Stimme anbelangt, so hörten Saulus und seine Begleiter etwas, ‚die Stimme’, doch nur Saulus konnte die Worte verstehen, die für ihn allein bestimmt waren. Von einem vergleichbaren Vorgang erfahren wir aus der Schriftstelle Johannes 12:28 und 29, wo es heißt, daß unser Herr Jesus eine Stimme aus dem Himmel hörte: „Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn auch wiederum verherrlichen.” Aber die Männer um ihn, die die Stimme hörten, verstanden die Worte nicht und sagten: „es hat gedonnert”; sie hörten also nur das Geräusch einer Stimme. Ähnliches geschieht in unseren Gesprächen auch heute: Wenn jemand leise oder undeutlich zu uns spricht, sagen wir, wir haben ihn nicht gehört: Wir meinen aber, daß wir wohl die Stimme gehört haben, aber nichts aufgefaßt oder verstanden haben.

Was Saulus fühlte, als er vom verherrlichten Herrn den Tadel wegen seines fehlgerichteten Eifers hörte, können wir uns besser vorstellen als beschreiben. Jedenfalls bewundern wir die unmittelbare Bereitwilligkeit, in der er sofort die Waffen seiner Gegnerschaft niederlegte und sich auf die Seite dessen stellte, dessen Sache er noch kurz zuvor bekämpft hat. Wir können uns vorstellen, daß er etwa so betete: ‚Herr, lehre mich! In meiner Blindheit und Unkenntnis habe ich gegen dich gekämpft, den Einziggezeugten des Vaters, den Messias, und ich habe dabei tatsächlich gedacht, Gott einen Dienst zu tun. Da ich einen so großen Fehler gemacht habe, fühle ich nun große Demut, ich traue meiner eigenen Weisheit nicht mehr, noch der Weisheit der Leute, auf die ich mich bisher verlassen habe, nämlich die führenden Geistlichen, die Schriftgelehrten und Pharisäer. Nun, Herr, komme ich zu dir. Zeige mir, wie ich etwas von meinen großen Fehlern, die ich in Unkenntnis gemacht habe, ungeschehen machen kann. Zeige es mir, und ich werde dem mit Freuden Folge leisten und gehorchen.’

Welch tiefen Eindruck das Ereignis auf Saulus’ Seele gemacht hat, kann daran erkannt werden, daß er drei Tage lang nicht aß und nicht trank. Er konnte sich die eigene Verblendung nicht verzeihen. Tiefe Zerknirschung ist immer ein gutes Zeichen von Reue für falsche Taten. Zweifellos verbrachte er die drei Tage Blindheit und Fasten mit unablässigem Nachdenken. Paulus kannte sich im Recht und auch in den Propheten sehr gut aus, und er war auch informiert über die Wirksamkeit und die Lehre des Nazaräers; so verbrachte er die Zeit im Gebet und in der Reflexion und verglich genau die Aussagen des Gesetzes und der Propheten mit dem, was er von dem Nazaräer und seiner Lehre wußte. Sein natürliches Augenlicht war zerstört, aber seine innere Sicht war geöffnet worden, und er sah viele Dinge in einem neuen herrlichen Licht.

Der Name Ananias in einem früheren Aufsatz war assoziiert mit Gottferne und Falschheit, doch hier finden wir einen anderen Ananias mit einem total anderen Charakter, einen treuen Diener des Herrn. Sein Zögern – Verse 13 – 16 – war sicher nicht in Abwehr begründet oder in Mangel an Glauben, sondern eine sinnvolle Schlußfolgerung. Er hatte von Saulus gehört und kannte wohl auch Saulus’ Gastgeber, und daß er ein Feind der Sache Christi war. So wollte er sich vergewissern, daß er den Herrn nicht mißverstand. In Güte und bereitwillig erklärte der Herr ihm die Sache, so wie es seinen Treuen gegenüber immer geschieht, und unverzüglich erfüllte Ananias seine Mission. Auch hier sehen wir ein Beispiel der von Gott verwendeten Methode: In diesem sehr wichtigen Menschen auf dem Irrweg sandte der Herr jemand, der offensichtlich ein sehr demütiges Glied der Kirche war. Er sandte nicht Petrus oder Johannes oder Jakobus, die Apostel aus Jerusalem, mit großem Aufsehen, um jenen reuigen Gegner aufzunehmen und einen öffentlichen Triumph auszuspielen, sondern er bediente sich eines Menschen, der willig und bereit war und sich in der Nähe aufhielt. Das sollte für uns die Lehre sein, daß der Herr willens und imstande ist, die Demütigen in Seinem Dienst zu gebrauchen, die offen und bereit sind.

Die Schuppen, die von Saulus’ Augen fielen, scheinen zu bedeuten, daß Teile der Augen durch das helle Licht zerstört worden sind. Wir hören, daß er wieder sehen konnte, wenn auch, wie aus späteren Äußerungen hervorgeht, bis zu seinem Lebensende seine Sehkraft eingeschränkt war und nie wieder normal wurde. Man hat, aus gutem Grund, angenommen, daß die bleibende Sehbehinderung ihn zu dem Ausspruch vom ‚Dorn im Fleische’ veranlaßt hat. Mit der Macht des Heiligen Geistes wurden ihm manche Gaben des Geistes verliehen, darunter auch die Gabe der Heilung, die er auch für viele gebraucht hat – Apostelgeschichte 19:11 und 12 -, und doch befreite ihn der Herr dort nicht von seiner Einschränkung. Dies muß für Paulus eine schwere Prüfung gewesen sein. Die Tatsache scheint um so merkwürdiger, als er andere heilen konnte, aber nicht sich selbst, und daß er zur Segnung anderer durch göttliche Macht jene Macht zum Segen für sich selbst nicht zur Verfügung hatte. Unser Herr antwortete ihm auf seine flehentliche Bitte: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht.” – 2. Korinther 12:9 Und der edle Apostel ruft aus: „So leide ich mit Freuden, wenn damit Gottes Gnade gegen mich nur um so größer ist.” Später hat er nie mehr um die Wegnahme jenes ‚Dorns’ gebeten. Etliche Begebenheiten unter seinen Erfahrungen bestätigen diesen Entschluß.

1) Auch wenn er ein gebildeter Mann war, schrieb er selten seine Briefe selbst, und über den einen Brief, den er selbst schrieb, und der am kürzesten ist, sagt er: „Seht, welch einen langen Brief ich euch geschrieben habe mit eigener Hand!” – Galater 6:11 Da kann auch die Annahme dahinterstecken, daß der Brief in sehr großen Buchstaben geschrieben war, wie es eine halbblinde Person machen würde.

2) In der Überlieferung wird von Paulus als von dem Apostel mit den trüben Augen gesprochen.

3) Als er vor dem Tribunal des obersten Befehlshabers stand, erklärte er, daß er Ananias nicht als Hohenpriester erkannt hatte. Wenn indessen sein Sehvermögen gut gewesen wäre, hätte er ihn durchaus wiedererkannt, schon durch dessen prachtvolle Kleidung. – Apostelgeschichte 23:5

4) In seinem Schreiben an die Galater sagt er zu ihnen – Galater 4:15 -, daß beim ersten Zusammentreffen mit ihnen ihre Liebe zu ihm und ihr Mitgefühl mit ihm so stark waren, daß sie bereitwillig für ihn ihre Augen ausgerissen hätten – eine Formulierung, die bedeutungslos wäre, wenn er gut hätte sehen können.

Nach einigen Tagen, in denen Paulus nach dem Fasten und der Erschütterung durch die Ereignisse Kraft schöpfte, folgte eine Zeit, wo er Gemeinschaft hatte mit den Menschen, die er zu verfolgen gekommen war. In seiner neuen Gesinnung und Einstellung entstand Verbundenheit mit ihnen und er lernte sie als liebe Geschwister kennen. Unverzüglich begann er Christus als den Sohn Gottes in der Öffentlichkeit zu predigen; dazu nutzte er die Gelegenheit in der jüdischen Synagoge in der Stadt.

Wer der Meinung ist, daß die Erfahrungen von Apostel Paulus ebenso einzuschätzen sind, wie die Bekehrung von Sündern, der täuscht sich sehr. Die hier berichtete Handlungsweise entspricht keineswegs dem Verhalten von Sündern, von Feinden Gottes. Der Bericht von der Erleuchtung des Apostels im Evangelium ist die Darstellung eines höchst edlen Charakters, der zu allen Zeiten in allen Gesellschaften Respekt gebietet. Wir sind geneigt, in Apostel Paulus in gewisser Hinsicht ein Vorbild seines Volkes – Israel – zu sehen, dem zu gegebener Zeit die Augen geöffnet werden. Es gibt viele Juden, die vielleicht wahre Israeliten sind, die nur verblendet sind, wie der Prophet und der Apostel es geschrieben haben. – Römer 11:7 – 12 Die Irreführung dieses Volkes hat am fünften (1.000-Jahr-)Tag stattgefunden; es ist am sechsten (1.000-Jahr-)Tag verblendet geblieben, und am dritten Tag (dem siebten 1.000-Jahr-Tag), dem Millennium, wird seine Blindheit weggenommen werden. Auch Israel war in dieser ganzen Spanne geistig ohne Speise und Trank. Und auch Israel wird mit der irdischen Verwaltung in Verbindung stehen, um die Botschaft weiterzutragen und die Nichtchristen und alle Menschen auf der Erde zu segnen. Wenn diese Zeit gekommen sein wird, wird der Herr viele ‚Ananias’ senden, deren Berührung und deren Segen unter der Gunst Gottes das Sehenkönnen ermöglicht. Der Name Ananias bedeutet ‚Jahwe ist gnädig’.