Verlag und Bibelstudien-Vereinigung e. V.

Gottes Sorge um die Verlorenen

Lesedauer: 13 Minuten

Lukas 15:1 – 10 „Also wird Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut.”

Das Wort ‚verloren‘ hat, auf die Menschheit bezogen, eine ganz andere Bedeutung in der Bibel als diejenige, die von der Theologie gebraucht wird. Dort wird der Begriff ‚verloren‘ angewendet auf Verdammte, für die es keine Hoffnung gibt; es schließt gemäß der Orthodoxie hoffnungslose, endlose, ewige Qual ein. In der Schrift aber wird ‚verloren‘ in einem beinahe entgegengesetzten Sinn gebraucht, wie wir sehen werden.

Unser Herr, heilig in Wort und Wandel, wollte natürlich die frommen Leute seiner Tage an sich ziehen, so scheinbar die Pharisäer. Doch unter ihnen waren viele, deren Frömmigkeit Heuchelei war, und die sich in äußerer Zurschaustellung gefielen, anstatt in Reinheit und Heiligkeit des Herzens. Wir erleben den Herrn als Gast und in der Gesellschaft bekannter Pharisäer, wo er die Gelegenheit gut nutzte, um ihnen und anderen das Evangelium zu predigen. Aber die Pharisäer, die gewohnt waren, sich selbst für die frömmere Klasse der Juden zu halten, waren nach und nach von den niedrigeren Leuten des Volkes abgerückt, so daß in Jesu Tagen beide Klassen kaum etwas miteinander zu tun hatten. Die Pharisäer lehnten es ab, die anderen als Brüder und Miterben der göttlichen Verheißungen anzuerkennen. Als sie nun sahen, daß sich die niedrigen Schichten der Juden für Jesu Lehren interessierten, und daß Jesus sich nicht von ihnen fernhielt, sondern sich unter sie mischte und auch sie wie jeden anderen lehrte, wunderten sie sich daher. Und das bewog sie Jesus abzulehnen, den sie gerne als einen der Ihren in ihren Kreis aufgenommen hätten, wenn er willens gewesen wäre, sich als Pharisäer einen Namen zu machen, und wenn er ihre Umgangsformen angenommen hätte. Um die falschen Vorstellungen jener Pharisäer richtigzustellen, sprach Jesus in fünf Gleichnissen zu ihnen, von denen wir zwei in diesem Text besprechen wollen.

Das Gleichnis vom treuen Hirten, der seine Schafe liebte und so für sie sorgte, daß er 99 von ihnen in der Obhut von Huthelfern in den Gefilden (nicht in der Wüste) zurückließ, und dem einen verlorenen Schaf nachging, bis er es fand, gibt uns eine Illustration von Gottes Fürsorge. Vielleicht hatte Jesus allein die Absicht, daß wir dies seinen Worten entnehmen. Wenn wir aber davon ausgehen, daß das Gleichnis dazu dienen sollte, in seinen tiefen Besonderheiten verstanden zu werden und Grundzüge des göttlichen Heilsplans abzubilden, müßten wir annehmen, daß das eine Schaf, das verloren war, Adam und die Menschheitsfamilie darstellte, und daß die 99 vorhandenen Schafe, die unter der Hut des Hirten geblieben waren, die Engel und andere Geistwesen sind, die sich nicht in Sünde und Gottesferne begeben haben, und die unter seiner Überwaltung und Fürsorge geblieben sind. So betrachtet würde der Hirte, der dem streunenden Schaf nachging, unseren Herrn Jesus darstellen, der die Herrlichkeit, die er vor Grundlegung der Welt beim Vater hatte, verließ und für die Menschheit ein irdisches Wesen wurde.

Eine andere Deutung des Gleichnisses wäre ungereimt, wenn man z. B. annehmen würde, daß das verlorene Schaf das heruntergekommene Element der Menschheit und 99 Schafe eine Klasse von Gottergebenen abbildet, dies wäre in zweierlei Hinsicht widersprüchlich:

  1. „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer”, wie die Schrift sagt, und mit den Worten des Propheten: „Wir alle irrten umher wie Schafe.” – Römer 3.10, Jesaja 53:6
  2. Selbst wenn behauptet würde, daß die 99 für etliche Leute stehen, die relativ intakt sind – was nicht zu allen Zeiten zutrifft- würde das Bild nicht passen, denn ohne Frage ist nur eine verschwindende Minderheit der Weltbevölkerung im Zustand zugerechneter und relativer Harmonie mit Jahwe, dem großen Hirten.

Wenn wir das eine Schaf als Vertreter der ganzen Menschheit betrachten, die in Adam gefallen ist und weit weg von den Pfaden der Gerechtigkeit umherirrt, und wenn wir Jesus als den guten Hirten, den Repräsentanten des Vaters, des großen Hirten – Psalm 23:1 – ansehen, dann stellen wir fest, daß das Werk des Suchens nach dem verlorenen Schaf bei der ersten Gegenwart unseres Herrn begann. Wir sehen, daß die Kosten dafür für unseren Herrn da anfielen, wo er anfing, das Schaf zurückzugewinnen, aber wir sehen noch nicht, daß das Schaf wiedergefunden wurde, denn noch in keinem Wortsinn ist die Menschheit in die Harmonie mit Gott zurückgebracht worden. Was wir jedoch sehen, ist, daß Gott im Evangeliumszeitalter eine besondere Kirche heraussucht, die den Leib Christi bilden soll, die Glieder des guten Hirten als ihrem Haupt sein sollen. Wir sehen auch, daß es jedes Glied dieses Leibes etwas kostet, sich vorzubereiten auf die Teilnahme an diesem Werk des Suchens nach dem verlorenen Schaf der Menschheit im allgemeinen, was im Millennium geschieht.

Das Schaf wurde bereits in dem Sinne gefunden, daß man seinen Standort kennt, in diesem Sinn war es eigentlich nicht verloren. Doch es war insofern verlorengegangen, daß es sich von Gott abgewandt und der Sünde und dem Verfall zugewandt hat. Aus dieser Perspektive betrachtet muß es erneuert bzw. zurückgebracht werden durch den Prozeß der Wiederherstellung – Apostelgeschichte 3:19 – 21 -, heraus aus der Erniedrigung, heraus aus dem Sündensumpf und der Grube von Abscheulichkeiten und Tod. Das ganze Millennium wird nötig sein, um das Schaf im vollen Wortsinn des Gleichnisses zurückzubringen. Unser Herr versichert uns, daß in der Zwischenzeit die himmlischen Heerscharen, das heißt die nicht in Irrtümer verfallenen und aus Gottes Herde weggelaufenen Schafe, jeden Schritt dieses großen Heilsplans für die Menschheit genau beobachten. Dabei verändert sich in der Darstellung des Herrn das Bild etwas, und es ist nicht mehr von einem Schaf die Rede, sondern von vielen (wie es auch mit der Menschheitsfamilie zugegangen ist, die ursprünglich aus einem Menschen bestand und jetzt aus vielen). Er bekundet, daß Freude bei den Engeln Gottes über einen reuigen Sünder herrscht, der zur Herde, zum Gleichklang mit Gott zurückkehrt.

Wer nun in diese Harmonie zurückkehrt, ist angenommen in dem Geliebten und ist umsonst gerechtfertigt durch die in ihm wohnende Gnade, und er ist „Jetzt zurückgekehrt zu dem Hirten und Aufseher eurer Seelen.” – 1. Petrus 2:25 -, um mit den Worten des Apostels zu sprechen. Er ist berufen, als Leibesglied Mitarbeiter des guten Hirten zu werden.

Was Vater Adam anbelangt, das allererste irrende Schaf, ist für viele seiner Nachkommen der verlorene Zustand nicht der wünschenswerte, denn er und viele andere wären sonst zur Herde, von der sie abgeirrt sind, zurückgegangen. Aber durch den Verfall und das Meer der Sünde wurden sie so degeneriert und hilflos, daß sie unmöglich aus eigener Kraft auf dem Weg, auf dem sie weggelaufen sind, zurückkehren konnten. Sie bedurften eines Heilands, der imstande sein mußte sie gänzlich zu erretten, sie völlig wiederherzustellen, heraus aus der Sündenverdammnis, und sie gänzlich in Gottes Herde zurückzubringen. Und genau diesen hat Gott in Jesus Christus bereitgestellt: „Daher vermag er auch völlig zu erretten, die durch ihn Gott nahen.” – Hebräer 7:25

Nach dem klaren Zeugnis der Schrift wird es einen Personenkreis geben, der, nachdem er aus der Hand des Herrn alle Segnungen und Chancen, die seine Liebe für ihre Wiederherstellung bereitgestellt hat, auf seinem eigenen Willen besteht und so die angebotene Hilfe des guten Hirten verschmäht. Über solche Leute heißt es in der Schrift: „Denn wenn wir mit Willen sündigen, nachdem wir die Erkenntnis der Wahrheit empfangen haben … .” – Hebräer 10:26 Für sie bleibt kein Anteil am Sündopfer, wie der Apostel sagt, und „es ist unmöglich, diejenigen … wiederum zur Buße zu erneuern.” – Hebräer 6:4 und 6 – oder wiederherzustellen. Über ihren Weg steht geschrieben: „Es gibt Sünde zum Tode; nicht für diese sage ich, daß er bitten solle.” – 1. Johannes 5:16 Nicht für die „Bock”-Klasse hat der gute Hirte sein Leben gegeben und sucht sie in der Wüste, und auch nicht für die „Wölfe”, sondern allein für solche, in denen wenigstens etwas von den „Schafen” und ihrem Wesen steckt, trotz ihrer Degeneriertheit durch die Sünde. Adam war ein „Schaf”, oder, wie die Schrift sagt, ein „Sohn Gottes” – Lukas 3:38 -, und seine Übertretung geschah zwar unter gewissen Gesichtspunkten willentlich, doch wir haben keinen Grund anzunehmen, daß es mehr war als ein Abschweifen des „Schafes” von der Herde, hin zu eigenwilligem Tun; es bedeutete nicht eine Veränderung des Wesens von der Schafsnatur hin zu der eines Bockes oder eines Wolfs. Es bedeutete nicht, daß Adam lieber ein „Kind des Teufels” sein wollte.

Wenn Adam aus tiefstem Herzen wissentlich und mit Willen ein Feind Gottes und der Gerechtigkeit geworden wäre, dann können wir nicht davon ausgehen, daß der allweise Hirte Seinen Sohn ihm nachgeschickt hätte als einem „Schaf”. Es stimmt, viele von Adams Kindern haben nachweisbare Merkmale einer Bocksnatur erreicht, und sind, wie der Apostel sagt, Feinde Gottes „nach der Gesinnung in den bösen Werken”. – Kolosser 1:21 Dennoch, der Apostel erklärt auch, daß viele von Satan verführt worden sind, der Licht als Finsternis und Finsternis als Licht ausgibt und ihre Augen des Verständnisses täuscht. Er sagt, daß „der Gott dieser Welt den Sinn der Ungläubigen verblendet hat, damit ihnen nicht ausstrahle der Lichtglanz des Evangeliums.” – 2. Korinther 4:4 Vielen Menschen, die, da sie sich mit dem Widersacher eingelassen haben, in vielerlei Hinsicht den Böcken ähnlich wurden, ist ein Rest Schafsnatur geblieben, die, einmal erleuchtet, sich durchsetzen und froh sein wird darüber, daß sie der gute Hirte gänzlich in Gottes Gunst und in die Herde wiederherstellen wird.

Im Rahmen dieser Deutung, die wir für die richtige und die einzig mit den verschiedenen Bestandteilen des Gleichnisses übereinstimmende halten, bemerken wir, daß Personen, die in den Zweiten Tod gehen, überhaupt nicht erwähnt werden. Sie existieren sozusagen nicht, soweit es um Gott und Seinen Plan geht, von dem Moment an, in dem sie ihre Natur als Schaf verlieren. Und das eine Schaf, das unser Herr während der Wiederherstellung und am Ende des Millenniums heilen und vollständig in die Herde Gottes zurückbringen wird, ist die Menschheitsfamilie, wie Gott sie ganz zu Anfang gedacht hat, das heißt der in Gottes Ebenbild geschaffene Mensch, der diese Ebenbildlichkeit nie völlig verloren hat, und in dem eben diese Eigenschaft im Millennium wieder belebt und wiederhergestellt wird. Das verlorene Schaf, das ursprünglich in Einem (Adam) vorhanden war, wird bei seiner Wiederherstellung von Milliarden der erlösten und geheilten Menschen repräsentiert.

Die verlorene Drachme

Das Gleichnis von der Frau, die ein Stück Silbergeld, das vermutlich als Hochzeitsgabe an einem Armband hing, verloren hatte und sich eifrig daranmachte es zu suchen, bis sie es gefunden hatte, ist eine weitere Darstellung des zuvor geschilderten Gedankens. Die Energie der Frau bei der Suche nach der verlorenen Drachme gebraucht der Herr als Illustration für die göttliche Energie für die verlorene Menschheit. Auch hier sehen wir, daß die Schrift das Wort „verloren” im Bezug auf den allerersten Verlust und durchaus nicht im Hinblick auf diejenigen, die im Zweiten Tod umkommen werden, gebraucht; sie kommen in den göttlichen Berechnungen nicht vor und sind es nicht wert erwähnt zu werden; Gott hat nicht die Absicht, diesen Personenkreis zu retten.

Das Geldstück aus Silber hatte nicht nur einen beträchtlichen Wert, sondern die Münzen sind gekennzeichnet durch ihre Prägung; üblicherweise findet sich darauf ein Bildnis oder ein Symbol. Das trifft auch auf die Söhne Gottes zu, auf Engel, Erzengel und wohl auf viele Arten von Geistwesen, die im Ebenbild Gottes gemacht sind. Eines dieser Geschöpfe war verloren, der Mensch, er war verloren, wurde gesucht und letztlich gefunden.

Die Häuser längst vergangener Zeiten, die hauptsächlich durch die Türöffnung Licht bekamen, und die gestampfte, mehr oder weniger schmutzige und schadhafte Fußböden hatten, verkörpern zutreffend den Zustand von Sünde und Verfall, in dem die Menschheit untergegangen war, wie wir ihn in Vater Adam vorfinden, der das Ebenbild Gottes trug, wie wir es in der verlorenen Drachme des Gleichnisses sehen. Dieses bildet nicht den Prozeß der Wiederherstellung ab, sondern nur den ursprünglichen Verlust und die dafür aufgewendete Energie. Das Anzünden der Lampe und das sorgfältige Suchen stehen für Gottes Handeln durch Jesus Christus, das am Ende des Millenniums abgeschlossen sein wird, wenn das, was verloren war und gesucht worden war, gänzlich zurückgewonnen sein wird.

Wenn die wiederhergestellte Menschheit am Ende des Millenniums zum Himmlischen Vater zurückkehrt, wird sie ebenso vollkommen in Seinem Ebenbild dastehen, wie es Vater Adam bei seiner Schöpfung war, und noch zusätzlich größere Erkenntnis und höhere Wertschätzung des Göttlichen, dessen Ebenbild sie trägt, gewonnen haben. Im Gleichnis bleibt auch das Anwachsen der Menschheitsfamilie unerwähnt, genauso wie jene Glieder von Adams Nachkommenschaft, die durch bewußt begangene Sünde (Personen, die die Sünde mehr lieben als die Gerechtigkeit) „aus dem Volke ausgerottet werden“ wird. -Apostelgeschichte 3:32 Sie haben in Gottes Augen keine Stellung; Er nimmt nur das Verlorene wahr, das letztlich durch Seinen treuen Stellvertreter, Christus, der sucht und findet, Ihm heil zurückgegeben wird.

Die hohe Zeit des Jubelschalls im Himmel und auf der Erde wird am Ende des Millenniums kommen, wenn alle Dinge im Himmel und auf Erden den rühmen, der auf dem Thron sitzt, und das Lamm. Für die Jetztzeit und sozusagen in der Vorausschau versichert uns der Herr, daß die himmlischen Heerscharen bei jedem Anzeichen für die Durchführung des großen Werkes und auch über jeden reuigen Sünder, der sich von seinem verderblichen Weg abwendet, jubeln. Und so wie sich die Engel im Himmel freuen, so werden sich entsprechend ihrem Maß an Harmonie mit Gott und den Himmlischen all diejenigen auf der Erde freuen über die Errettung ihrer Mitmenschen, die herausfinden aus den Fallstricken von Sünde und Satan.

Dieser Gedanke sollte insbesondere den Pharisäern nahegebracht werden, daß sie nämlich, anstatt sich fernzuhalten und sich angegriffen zu fühlen von Leuten, die freudig Jesus zuhören, froh sein sollten über jedes Anzeichen von innerer Umkehr und Besserung – vorausgesetzt sie seien in Harmonie mit Gott und den Geistwesen im Himmel. Sie sollten froh sein, die Leute beim Erreichen dieser Hamonie zu unterstützen, solche, die nach den Worten des Apostels „Gott suchen, ob sie ihn wohl tastend fühlen und finden möchten.” – Apostelgeschichte 17:27

So sollte die Einstellung aller von Gottes Volk heute sein: Wenn sie nicht von Herzen dieses Bedürfnis haben, sind sie in der Gefahr, sich vom Geist des Herrn abzuwenden. Und wenn jemand bestrebt ist, mit liebevoller Anteilnahme andere von der Sünde abzubringen und ihnen behilflich zu sein, in die Übereinstimmung mit Gott zurückzukehren, dann beweist er seine Gott wohlgefällige Herzensstellung; er leistet auch Hilfestellung für sie und tut das Seine dazu, die Wege für ihre Füße gerade zu machen, damit sie, unter der Fürsorge des Hirten, letztlich sicher die Herde erreichen.

Daher werden alle von des Herrn geliebtem Volk, die er schon gefunden hat und die seine Fürsorge und Hilfestellung zurück zu Gott angenommen haben, mehr und mehr den Geist des Mitgefühls für andere und der Mitarbeit an dem vom guten Hirten begonnenen Werk pflegen. Sie kümmern sich nicht um die Menschheit im allgemeinen, sondern leisten insbesondere denen Hilfe, die der Herr im jetztigen Zeitalter auswählt als die „Erstlingsfrüchte” seines Werkes und seines Sieges. Dabei richten sie einander auf in ihrem allerheiligsten Glauben und machen sich gegenseitig Mut; sie helfen einander beim Anlegen des Hochzeitskleides, um bereit zu sein für das Erbe der Heiligen im Licht als Miterben im Reich Gottes. – 1. Thessalonicher 5:11, Judas 20, Kolosser 1:12 und Römer 8:17