Verlag und Bibelstudien-Vereinigung e. V.

„Was ich aber habe, das gebe ich Dir” – Apostelgeschichte 3:1-10

Lesedauer: 9 Minuten

Meine Stärke und mein Gesang ist Jah, denn er ist mir zur Rettung geworden.

2. Mose 15:2

Wahrscheinlich hat sich die hier zugrundeliegende Begebenheit nicht lange nach Pfingsten ereignet. Dem Text in der Apostelgeschichte nach haben Petrus und Johannes den Tempel zur Gebetszeit um drei Uhr nachmittags aufgesucht. Die beiden waren nunmehr seit einigen Jahren mit dem Herrn zusammen und kannten einander gut. Beide waren vorher Jünger von Johannes dem Täufer, und davor waren sie beide Fischer. Unter den Zwölfen waren sie besonders bevorzugt: Sie waren mit dem Herrn auf dem Berg der Verklärung, im Garten Gethsemane gehörten sie zum engsten Kreis, usw. Wenngleich Petrus vermutlich der älteste der Jünger war und Johannes wohl der jüngste, und auch wenn ihre Veranlagungen in vieler Hinsicht recht verschieden waren, bestand offenbar ein starker Zug von Übereinstimmung zwischen ihnen. Sie liebten beide den Herrn von ganzem Herzen und hatten beide ein feuriges Temperament. Daher war es nur natürlich, daß diese beiden häufig gemeinsam auftraten, weil sie sich gut verstanden. Genauso wie es für die Stärkeren unter den Brüdern gut ist, manchmal mit Schwächeren zusammenzusein und sie zu unterstützen, ist es auch gut, daß verwandte Seelen miteinander und mit dem Herrn den Kontakt pflegen, wie es hier geschah.

Da die Apostel häufig in den Tempel gingen und vermutlich auf dem gleichen Weg durch die „Schöne Pforte”, kann man davon ausgehen, daß sie der lahme Bettler, der schon lange an diesem Platz saß und um Almosen bettelte, fast täglich gesehen hat. Es wäre auch nicht verwunderlich, wenn der arme Bettler genauso wie viele andere gottesfürchtige Leute, die fast täglich in den Tempel gingen, von den Pfingstwundern wußte, durch die mehrere tausend Menschen bekehrt worden waren und über die sehr viel geredet wurde. So kannte der Lahme wohl Petrus und Johannes längst vor seiner Heilung. Wenn es so war, dann würde das auch seine Bereitschaft zum Glauben erklären, aus dem heraus er durch das Annehmen von Wort und Tat des Apostels geheilt wurde.

Was Apostel Petrus in diesem Fall veranlaßte, diesem Mann seinen Segen zukommen zu lassen, werden wir nie erfahren, denn es ist anzunehmen, daß in der damaligen Zeit, als es keine Einrichtungen für Lahme und Blinde usw. gab, die Apostel häufig anderen Personen begegneten, die genauso behindert und notleidend waren wie dieser Mann, ohne daß sie ihnen Hilfe angeboten hätten. Dieser Mann scheint aber ein „wahrer Israelit” gewesen zu sein, was sich aus der Art entnehmen läßt, wie er die Segnung des Herrn entgegennahm. Sonst hätte er, anstatt erfüllt zu sein von großer Freude und Dankbarkeit, vorher eine Haltung von Unzufriedenheit an den Tag legen müssen, mit seinem Los hadern und sich über Gottes Vorsehung beklagen müssen. Unter solchen Voraussetzungen im Denken wäre seine Reaktion nach der Heilung vielmehr die von Selbstzufriedenheit und Genugtuung anstatt von Dankbarkeit gewesen. Er wäre dann der Meinung gewesen, daß er nur bekommen hat, was ihm zusteht. Die dortigen Gegebenheiten scheinen daher nahezulegen, daß die Vorsehung des Herrn die Apostel ausdrücklich seinetwegen zu ihm lenkte. Diese Erfahrung macht auch heute Gottes Volk, wenn jemand die rechte Herzensstellung hat. Unter welchen Lebensumständen auch immer werden sie reichlich Anlaß zu danken haben, und sie werden die Fürsorge und Gnade des Herrn in den Angelegenheiten ihres Lebens aufspüren, ungeachtet der Prüfungen und Probleme. Auf solche Menschen ist Gottes Sorge ausgerichtet; sie haben die Zusicherung, daß alle Dinge für sie zum Guten mitwirken. Seine Fürsorge bedeutet für sie sicher nicht immer Gesundheit und körperliche Unversehrtheit, doch sie wird ihnen zweifellos den größtmöglichen Segen bringen, wie ihn der arme Behinderte aus unserer Textstelle erfahren hat: eine Erkenntnis des Herrn und einen Anteil an seinen geistigen Wohltaten.

Zur damaligen Zeit, als es keine Einrichtungen für Mittellose und Hilfsbedürftige gab, waren Betteln und Almosengeben gang und gäbe. Es spricht für unser Land, daß man sich mit staatlichen Geldern um Hilfsbedürftige kümmert, indem dafür anteilig Steuergeld verwendet wird.

Der Apostel sagte: „Silber und Gold habe ich nicht.” Wir können kaum annehmen, daß er diese Feststellung als buchstäblich aufzufassen gemeint hat, denn in den vorausgehenden Versen lesen wir, daß größere Vermögenswerte verkauft worden sind und man den Ertrag daraus den Aposteln zu Füßen gelegt hat, sie also Geld zur Verfügung hatten. Aber offensichtlich betrachteten sich die Apostel als dessen Treuhänder für den Herrn. Daher kann man vermuten, daß der Apostel meinte, Silber und Gold haben wir nicht zu geben, aber wir haben etwas Besseres, etwas, das wir im Auftrag Gottes austeilen sollen. Und ohne Zweifel war das, was der Apostel dem Gelähmten gab, viel mehr wert als Geld.

Genauso ist es heute; wir können bei aller Freigiebigkeit den Wünschen nach finanzieller Unterstützung, die manchmal an uns herangetragen werden, nicht nachkommen. Die Mittel, die uns der Herr in die Hand gegeben hat, sollen wir unserem Verständnis nach hauptsächlich für geistige Nahrung, Kleidung, Stärke und Hilfe, für die von Sünde Geplagten und durch Sünde Gelähmten und für die durch die Irrtümer Erblindeten verwenden. Und so müssen wir manchmal sagen: ‚Silber und Gold ist bei uns nicht reichlich vorhanden, aber Segnungen durch geistige Dinge wollen wir euch gerne geben‘. Sie kosten kein Geld, und niemand kann ihren Wert bemessen.

Unser Herr sagte dazu: „… die Armen habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit.“ – Matthäus 26:11 Wenn man den Geschwistern in der Kirche und den Leidenden in der Welt Hilfe leisten will, sollte man dabei ein weites Herz haben und man sollte auch bedenken, daß widrige Umstände in den Schicksalen von vielen unter den Kindern Gottes offenbar seine Absicht waren, um ihnen Segen zukommen zu lassen, den sie auf andere Weise nicht wertgeschätzt hätten. Wir sollten bemüht sein, anderen Hilfe zu leisten, dabei aber berücksichtigen, daß wir nicht mit dem Vorgehen der göttlichen Vorsehung und dem Lernen wichtiger Lektionen seitens derer, denen wir Gutes tun möchten, in Konflikt geraten. Daran erinnern uns die Worte des Apostels niedergeschrieben in 2. Thessalonicher 3:10.

„Geben ist seliger als Nehmen.“ Zweifellos kennt jedes Kind Gottes die Wahrheit dieses Sprichworts. Gott ist von jeher ein großzügiger Geber, und Sein Volk übt sich daher, je nachdem, wie es diese Tugend der Freigebigkeit pflegt, in dieser bedeutsamen Gott-ähnlichen Eigenschaft. „… tut Gutes, und leihet, ohne etwas wieder zu hoffen, und euer Lohn wird groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein … .” – Lukas 6:35 Wenn wir Menschen in Not nicht immer viel Geld geben können oder weniger, als wir eigentlich geben möchten, werden wir immer, wie es Petrus tat, etwas geben. Wir können nicht wie er auf wunderbare Weise Gesundheit und Kraft geben, denn wir sind nicht mit solcher den Aposteln eigenen Macht ausgestattet, aber wir können ein Wort der Ermutigung, einen freundlichen Blick, eine helfende Hand bei Problemen herschenken. Diese Dinge sind oft mehr wert als Geld, und sie sind zuweilen willkommener. Selbst ein ‚Feind‘ sollte zu essen bekommen, wenn er hungrig ist, doch weder Freund noch Feind sollte zu Trägheit oder zu Verschwendung ermutigt werden.

Wir sehen, wie klar sich Petrus zu der Quelle seiner Macht bekannte, und daß er sich keiner Einzelheit der göttlichen Wahrheit schämte. Er sagte frei heraus, daß sein Wunder im Namen von „Jesus von Nazareth” geschah. Er sagte nicht: ‚Im Namen von Jesus, dem größten aller Juden, dem hochgeehrten Freund von Joseph von Arimathia und von Nikodemus, einem unserer höchsten Beamten‘, sondern er ließ all diese menschliche Anbiederung beiseite und erklärte einfach, daß die Heilung durch die Macht von Jesus dem Nazaräer, dem Verachteten, bewirkt worden ist. So mancher von Gottes Volk heutzutage erweist sich als viel weniger couragiert als Petrus. Man neigt dazu, sich der Wahrheit und auch der wirkenden Kraft zu ihrer Verbreitung zu schämen aus Furcht, daß das Bekenntnis hier der Sache schaden würde. Wir tun gut daran, so zu handeln wie der Apostel, sehr mutig zu sein und bereit, alles was wir als von Gott gebilligt erkennen, öffentlich zu bekennen. Welche Kräfte Gott auch immer für Seinen Dienst gebraucht – wir können sicher sein, daß Er einen bestimmten Zweck, ein bestimmtes Vorhaben im Blick hat, und daß Seine Absichten am besten hinausgeführt werden durch nüchterne, einfache, wahrheitsgemäße Aussagen wie die von Petrus.

Die Beschreibung, daß der Kranke stand, sprang und lief, gibt zutreffend die ersten Bewegungen von jemand wieder, der von Geburt an gelähmt eben nie Laufen gelernt hatte. Nun war jedoch Kraft in seinen Gliedmaßen, ein augenfälliger Beweis für das vollbrachte Wunder. Der Arme schämte sich nicht der Helfer, die Gott zu seiner Gesundung gesandt hatte. Er lobte Gott mit lauter Stimme und hielt sich zu seinen beiden Wohltätern, empfahl sie den Leuten und warb so auch für die Botschaft des Evangeliums, die sie zu bieten hatten. Und das war mit Sicherheit der eigentliche vom Herrn angestrebte Zweck. Auch darin liegt eine Lehre für uns, daß wir uns nämlich nicht derer schämen sollen, die der Herr etwa für unsere geistige Heilung gebraucht, die viel wertvoller ist, die viel höher geschätzt und vor Gott und Menschen anerkannt werden sollte, als alle irdische Segnung. Tatsächlich sind das natürliche Sehvermögen, das natürliche Hören, das natürliche Gehen und natürliche Lebensfreude jeder Art bedeutungslos im Vergleich zu geistiger Aufklärung, zu Hören und Kraft zum Laufen in geistiger Hinsicht, denn die geistigen Freuden sind höher als die natürlichen.

Petrus war kein Egoist; er war bedacht darauf, jede Gelegenheit, jedes ihm erkennbare Interesse für die Verherrlichung des Herrn und seine Sache zu nützen. Als sich nun dort die Menge sammelte, war die Heilung sein Anlaß, sie wurde zur Demonstration der Macht des auferstandenen Jesus, als dessen Werkzeug der Apostel handelte. Er erklärte geradeheraus den Leuten, daß es sich um genau den Jesus handelte, den ihre religiösen Führer zwei Monate zuvor gekreuzigt hatten. Er wies entschieden von sich, daß er oder Johannes etwa aus sich heraus die Macht hätten, solch ein Wunder zu vollbringen. Und er sagte auch nicht, daß die Heilung durch ein Naturgesetz erfolgt ist, das durch den Glauben des Mannes ausgelöst wurde; er verneinte eine Heilung durch ‚Naturwissenschaft‘ und leugnete auch nicht die Fakten und behauptete etwa, die Behinderung des Mannes sei nur ein Irrtum gewesen, dessen Korrektur ihn sichtbar gemacht hat. Er sagte die Wahrheit: daß dieser Mann krank war, jetzt aber gesund gemacht war durch die Macht von Jesus. Er schonte auch seine Zuhörer nicht. Sondern konfrontierte sie mit der Tatsache, daß ihr Volk verantwortlich ist für die Kreuzigung von jemand, der nicht nur unschuldig und gerecht war, sondern der von Gott gesandt war, der Messias, der Fürst des Lebens.

Hier findet sich eine weitere Lehre für uns. Wenn uns jemand zuhört, sollen wir diese Aufmerksamkeit nicht vergeuden, weder für die Erörterung von unergiebigen Themen oder durch eigene Überheblichkeit. Das Gespräch sollte sich ohne Verzug der Ehre des Herrn zuwenden und der herrlichen Aussicht aus dem Loskauf durch sein kostbares Blut, um zu erklären, daß jegliche Segnung aus dem Verdienst dieses Opfers und von unserem auferstandenen und verherrlichten Herrn kommt.

Unser Leittext drückt gewiß die Empfindungen jedes Gliedes des Haushalts des Glaubens aus. Der Herr ist unsere Stärke; wir vertrauen nicht auf die menschliche Kraft, weder auf unsere eigene, noch auf die anderer Menschen. Wir orientieren uns an unserem Haupt, von dem die maßgeblichen Gesetze kommen, von dem auch die Kraft, die Richtung, der Schutz und die Fürsorge kommen, die wir brauchen und die uns erfreuen. Der Herr ist unser Heil geworden; er hat uns durch den Glauben an sein Blut vom Todesurteil errettet; er hat uns freigemacht von der Liebe zur Sünde. Er hat uns nicht nur neu belebt, sondern uns auch gestärkt und uns befähigt, auf dem schmalen Pfad zu laufen, und das mit Freuden und Fröhlichkeit und Springen. Er ist schon jetzt unser Heil – die Errettung, die in uns zur Entfaltung und in der ersten Auferstehung zur Vollendung gebracht werden soll -, denn wir sind schon vom Tod ins Leben hinübergewechselt, wovon uns der Heilige Geist Zeugnis gibt.