Verlag und Bibelstudien-Vereinigung e. V.

„Liebst du mich mehr als diese?” – Johannes 21:15 – 22

Lesedauer: 24 Minuten

Wir befassen uns hier mit der fünften Kundgebung unseres Herrn nach seiner Auferstehung – einige würden sagen mit der siebten, indem sie, anders als wir es tun, unseres Herrn Kundgebung gegenüber Maria dazu zählen, auf die in Matthäus als seine Erscheinung gegenüber der „Frau” hingewiesen wird, und daß er sich Petrus zeigte, was auf seinem Weg nach Emmaus geschah. Alle diese Kundgebungen, ob sie nun vier oder sechs Mal zu zählen sind, erschienen in den ersten acht Tagen nach der Auferstehung unseres Herrn – an den zwei ersten Tagen oder Sonntagen in oder in der Nähe von Jerusalem. Was wir kennzeichnen, ist, daß die fünfte Erscheinung in einem anderen Teil des Landes stattfand, in Galilea, und sie geschah wahrscheinlich zwei Wochen später. Es wird kein Bericht über die Handlungen der Apostel in der Zwischenzeit gegeben, aber wir können Vermutungen äußern. Sie warteten wahrscheinlich in Jerusalem, was am dritten und möglicherweise am vierten Sonntag nach der Auferstehung geschehen würde und waren enttäuscht, daß unser Herr keine weitere Kundgebung machte. Sie erinnerten sich danach vielleicht an die Botschaft, die Jesus durch Maria gesandt hatte, daß er ihnen in Galilea begegnen würde.

Weil sie in Jerusalem keine weitere Beschäftigung hatten und ihr Meister und Führer durch seine „Verwandlung” vor ihnen entschwunden war, obwohl sie glaubten, daß er nicht länger mehr tot war, sondern für sie unsichtbar, außer den wenigen Augenblicken, in denen er erschienen war und mit ihnen geredet hatte, waren sie in Verlegenheit, was sie tun sollten. Und sie entschieden sich, in ihr Heimatland an den See Genezareth zurückzukehren. Darüber hinaus waren sie in ihrem früheren Leben tatkräftige Männer gewesen, die gearbeitet hatten. Einige von ihnen waren Fischer gewesen, und Jesus hatte sie von ihren Netzen gerufen, um „Menschenfischer” zu werden, und sie hatten alles verlassen und waren ihm nachgefolgt. Aber jetzt konnten sie ihm nicht länger nachfolgen. So weit sie sehen konnten, war alles anders geworden, nachdem er verwandelt wurde. Sie konnten das Werk nicht länger ausführen, wofür hätten sie predigen können? Wie hätten sie anderen von ihrer Hoffnung auf einen König erzählen können, der gekreuzigt worden war, und den sie, obwohl er auferstanden war, nicht länger sehen und andere auf ihn hinweisen konnten? Sie hatten noch nicht ihre neue Anweisung bekommen, und waren dazu auch noch nicht bereit.

Es überrascht uns nicht, daß unter diesen Umständen sieben von ihnen einstimmig sich unter der Führung von Petrus dazu entschlossen, zur Fischerei zurückzukehren. Es war das Handwerk, in welchem sie Erfahrungen hatten, die nur drei Jahre zurück lagen. Sie fischten mit Netzen, und es scheint die Gewohnheit gewesen zu sein, während der Nacht zu fischen. Dies war die Gelegenheit, auf die Jesus wartete. Er wünschte, die Jünger bis zum äußersten Nachdenken und logischen Argumentieren über diese Sache seiner Auferstehung zu bringen, und was sie nun tun sollten, um darauf vorbereitet zu sein, endgültig und nutzbringend die Anweisungen zu empfangen, die er ihnen im Hinblick auf ihre zukünftige Richtung ihres Wandels geben würde. Die rückschrittliche Einstellung, sich vom Predigtwerk abzuwenden und zum Fischen zurückzukehren, würde sicherlich kommen, und er betrachtete es als zweckdienlich, daß es geschehen sollte, wenn er bei ihnen wäre, damit sie den größten Nutzen daraus ziehen könnten. Als sie nun zum Fischen zurückgekehrt waren, war die Zeit für unseren Herrn gekommen, ihnen zwei Dinge klarzumachen:

(1) Daß er einen Auftrag für sie hatte, der in einem Zusammenhang mit dem Fischen nach Menschen stand, den sie noch nicht vollendet hatten, und den sein Tod und seine Auferstehung nicht unterbrochen hatten, sondern vielmehr anregend und wirklich wirkungsvoll machen würden.

(2) Es würde ihm die Möglichkeit geben, in einer höchst praktischen Weise zu zeigen, daß er die göttliche Macht noch besaß, durch die er bisher für ihre Notwendigkeiten Vorsorge getroffen und zur bestimmten Zeit Volksmengen mit Speise versorgt hatte, und er diese beständig in ihrem Interesse ausüben würde, wenn sie ihm weiterhin gehorchen würden.

Es ist interessant zu beachten, daß, während unser Herr für seine Jünger unsichtbar war, sie für ihn sichtbar waren und all ihre Pläne, Anordnungen und Handlungen ihm völlig bekannt waren; während er bereit war, jeden Umstand zu nutzen, alle Dinge zu ihrem Guten zusammenwirken zu lassen. So geschah es in gleicher Weise in Ausübung seiner wunderbaren für uns nicht erkennbaren Macht, daß er die Fische in jener Nacht daran hinderte, in ihre Netze zu schwimmen. In Unkenntnis der wahren Situation waren sie zweifellos sehr enttäuscht, betrübt und verärgert über ihren fehlenden Erfolg, und vielleicht stuften sie ihn als einen Teil von Versagen und Trübsal ein, die ihnen in mancher Hinsicht gefolgt waren, seitdem sie für die Sache Jesu Partei ergriffen hatten. Und es gibt hier eine Lektion für jeden und für alle von des Herrn Volk heute: Wir wissen nicht, was zu unserem höchsten Wohlergehen dient. Manchmal sind jene Dinge, denen wir den Weg bahnen, und die wir zu erlangen wünschen, weil wir sie als gut ansehen, in Wirklichkeit zu unserem Nachteil. Glücklich sind jene, die durch Glauben imstande sind, den Trübsinn jeder Trübsal und Schwierigkeit und Verwirrtheit zu durchdringen, um zu erkennen, daß „der Herr die kennt, die sein sind”, und Er alle Dinge sich zu unserm Guten auswirken läßt. So war es bei den Aposteln, deren Enttäuschung zu einem Kanal der gesegneten Belehrung wurde.

In der Morgendämmerung erschien Jesus ihnen als ein Mensch, der am Ufer des Meeres stand. Er rief und fragte sie, ob er von ihnen irgendwelchen Fisch kaufen könnte. Sie erwiderten ihm, daß sie sich die ganze Nacht abgemüht, aber nichts gefangen hätten. Der Fremde schlug ihnen dann vor, das Netz auf der anderen Seite des Bootes auszuwerfen. Und sie waren so niedergedrückt durch ihre Enttäuschung, daß sie die Argumentation nicht beendeten, um ihrerseits zu erklären, daß sie alte, erfahrene Fischer wären, sie aber nicht wüßten, ob er irgendwelche Erfahrung darüber besäße, und daß sie, obwohl sie die Netze die ganze Nacht ausgeworfen hätten, es noch einmal tun und so dem Fremden demonstrieren könnten, daß kein Fisch in ihrer Nähe wäre. Aber siehe da! Das Netz füllte sich augenblicklich mit großen Fischen, so daß diese sieben starken Männer, Petrus, Thomas, Jakobus, Johannes, Nathanael und zwei andere, deren Namen nicht genannt werden, außerstande waren, das Netz einzuziehen und sich genötigt sahen, es ans Ufer zu ziehen.

Und sogleich kam den Jüngern der Gedanke, und keinem eher als Johannes, daß der Fremde am Ufer nur Jesus sein konnte. Der treue und impulsive Petrus, dessen Herz noch brannte, als er sich an die Worte des Herrn erinnerte und vielleicht auch an seine eigene Schwäche im Zusammenhang mit der letzten Nacht seines Erdenlebens, konnte auf das Boot nicht warten, das ihn zum Ufer bringen sollte, sondern schwamm ihm entgegen, weil er wahrscheinlich befürchtete, daß der Meister wieder entschwinden könnte, bevor er eine weitere Gelegenheit bekommen hätte, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. Als die Jünger mit ihrem Netz voller Fische das Ufer erreichten, fanden sie nicht nur Jesus, sondern auch ein Feuer und Fisch darauf, der schon gebraten war. Hier bekamen sie die Lektion, daß unter des Herrn Sorge und Vorsehung sie im Fischgeschäft entweder erfolgreich oder nicht erfolgreich sein konnten, und daß er die Macht hatte, ihnen nicht nur Fisch auf die gewöhnliche Weise zu geben, sondern auch durch wunderbare Macht gebratenen Fisch, wenn dies seiner Absicht besser diente.

Sie aßen mit Jesus, den sie nicht an seinen Wundmalen erkannten, sondern an dem Wunder, das er vollbracht hatte. Wir lesen im Besonderen: „Keiner aber von den Jüngern wagte ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wußten, daß es der Herr war.” Sie waren sich dessen so sicher, daß er es war, daß es ihnen nicht in den Sinn kam, die ihn betreffende Frage zu stellen. Es wird nicht darüber berichtet, worüber sie sich während des Frühstücks unterhielten. Der Evangelist kommt direkt zu den wichtigen Worten, die unser Herr an Petrus, den ältesten und Führer dieser neuen Partnerschaft von Fischern richtete. Jesus sprach Petrus an, aber nicht wie dieser es gewohnt war, mit seinem neuen Namen Petrus, sondern mit seinem alten Namen Simon. Möglicherweise war dies eine Andeutung, die Petrus zu verstehen geben sollte, daß er in den letzten wenigen Tagen die Fels-ähnlichen Qualitäten nicht gezeigt hatte, die in der Bedeutung seines Vornamen Petrus enthalten sind, und er jetzt sogar gewillt war, das Werk der Kirche für das weltliche Geschäft zu verlassen. Und die Frage „Liebst du mich mehr als diese?” – die Boote, die Netze, die Segel, usw., wurde sehr betont. Du hast angefangen, mein Jünger zu sein, und nun stelle ich die Frage: Auf welcher Seite ist dein Herz – mit mir im Dienst für das Königreich oder bei deinem Fischgeschäft? Petrus antwortete sogleich: „Herr, du weißt, daß ich dich lieb habe.” Jesus erwiderte dann: „Weide meine Lämmer” – meine Kleinen – anstatt länger dem Fischgeschäft zu folgen. Dann sagte Jesus ein zweites Mal das Gleiche, und Petrus erwiderte das Gleiche. Und dann antwortete unser Herr: „Hüte meine Schafe” – richte deine Gedanken, deine Aufmerksamkeit und deine Sorge lieber auf sie, als auf die Geräte für das Fischen, auf die Boote und so weiter.

Jesus stellte ihm zum dritten Mal die gleiche Frage. Petrus war darüber traurig, sie schien Zweifel von Seiten des Herrn anzudeuten und vielleicht sollte ihn das dritte Mal daran erinnern, daß er den Herrn drei Mal verleugnet hatte, und daß der Herr ihn nun aufforderte, seine Liebe zu ihm drei Mal zu bezeugen. Es berührte eine sehr zarte Seite im Herzen und den Erfahrungen des Petrus, und wir können sicher sein, daß dies von unserem Herrn selbst in dieser delikaten Weise nicht in der Absicht getan wurde, Petrus leiden zu lassen, sondern mit der Absicht seiner Segnung und zu seinem Gunsten. Das Bekenntnis des Petrus war diesmal noch stärker: „Herr, du weißt alles; du erkennst, daß ich dich lieb habe.” Jesus sagte zu ihm: „Weide meine Schafe.”

Es ist beachtenswert, daß die Worte unseres Herrn bei diesen drei Gelegenheiten nicht genau die gleichen waren. In dem Griechischen Neuen Testament werden zwei Worte in der Bedeutung für „Liebe” benutzt, agapee und phileo. Wenn unser Herr bei den ersten zwei Fragen „Liebst du mich …” sagte, benutzte er das frühere Wort agapas, das die Liebe in ihrer stärksten und reinsten und selbstlosesten Form bedeutet; aber bei seiner dritten Frage benutzte unser Herr die andere Form phileis, die Zuneigung bedeutet, Pflicht-Liebe, die obligatorische Liebe, so wie sie Verwandte gegenüber jedem anderen empfinden, selbst wenn der andere tiefere Liebe ermangelt. Petrus benutzte bei allen seinen Antworten die letztere Wortform und beteuerte damit seine persönliche Zuneigung und Hingabe zu dem Herrn, aber aus der Sicht der kürzlichen Erfahrungen unterließ er es, die höchste Liebe zu beanspruchen, nach der unser Herr nachfragte. Diese Demut war ein hervorragendes Zeichen, da es zeigte, daß Petrus die nötige Lektion gelernt und aufgehört hatte, zu prahlen, sondern eher seine eigene Schwachheit zu fürchten. Daß unser Herr das dritte Mal das Wort benutzte, das Pflicht-Liebe bedeutet, betrübte Petrus besonders, weil er durch den Wechsel der Worte anzeigte – bist du überhaupt sicher, Petrus, daß du die Pflicht-Liebe hast? Diese Unterscheidung zwischen diesen beiden Wortformen wird durch andere Verwendung derselben im Neuen Testament bestätigt.

Pflicht-Liebe (phileo) illustriert

„Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, ist meiner nicht würdig.” – Matthäus 10:37 Pflicht-Liebe für die Verwandten unserer Familie zu empfinden ist richtig, aber wir dürfen nicht die gleiche Pflicht-Liebe für unseren Herrn empfinden, sonst können wir ihm niemals als „Überwinder” nachfolgen.

„Wer sein Leben liebt, verliert es.” – Johannes 12:25 Es ist unsere Pflicht, unser Leben in dem Sinn zu lieben, daß wir es wertschätzen und nicht willens sind, es zu vernichten oder es töricht zu verschwenden. Wer aber ein Jünger Christi geworden ist und versprochen hat, in seinen Fußstapfen zu gehen, selbst bis in den Tod, der sollte sich daran erinnern, daß er sein Leben als ein Mensch schon übergeben hat im Austausch für die Hoffnung auf ein Leben als eine „Neue Schöpfung”, ein geistiges Wesen. Er wird nicht länger mehr von phileo oder Pflicht-Liebe hinsichtlich irdischen Lebens kontrolliert, sondern wird von agapee-Liebe angetrieben. Er ist bereit, sein natürliches Leben im Dienst Gottes „für die Brüder” niederzulegen.

„Denn der Vater selbst hat euch lieb, weil ihr mich geliebt habt.” – Johannes 16:27 In beiden Fällen bedeutet phileo Pflicht-Liebe. Dies war die höchste Form der Liebe, welche die Jünger als Ganzes bislang wertschätzen konnten, wie Petrus bezeugte. Und des Vaters Liebe für sie war die gleiche Pflicht-Liebe. Die Jünger hatten noch nicht den Heiligen Geist bekommen und dessen agapee oder die höchst selbstlose Liebe und deren Charakter, und daher konnte der Vater sie nicht um ihrer selbst willen lieben, sondern erwies ihnen gegenüber bloß eine Pflicht-Liebe, weil sie eine Pflicht-Liebe für Christus erlangt hatten und seine Freunde und Jünger geworden waren.

„Wenn ihr von der Welt wäret, würde die Welt das Ihre lieben.” – Johannes 15:19 Phileo oder Pflicht-Liebe wird von weltlichen Eltern, Kindern und Nächsten auf selbstsüchtiger Basis als „das Ihre” ausgeübt.

„Wenn jemand den Herrn nicht lieb hat, der sei verflucht! Maranatha!” [er soll verflucht sein oder verdammt sein zum Zweiten Tod, wenn der Herr kommt]. – 1. Korinther 16:22 Eine Wertschätzung des Werkes Christi wird von allen erwartet, wenn die Errettung, die Gott in ihm vorgesehen hat, zu einer Erkenntnis gebracht wird, und wer sich weigert, phileo oder Pflicht-Liebe zu erwidern, wird während der Millennium-Herrschaft schon früh vom Leben abgeschnitten werden. Von jenen aber, welche die phileo oder Pflicht-Liebe erweisen, wird erwartet, daß sie vorangehen und zu dem Ziel der agapee-Liebe gelangen, wahrer, selbstloser Charakter-Liebe, – wenn sie ewiges Leben bekommen möchten. Gott sei Dank, daß das gegenwärtige Leben nicht die Tür der Gelegenheit für irgendeinen schließt, der noch nie phileo oder Pflicht-Liebe gekannt hat, noch für viele, die dies gekannt, aber noch nicht agapee-Liebe erlangt haben.

„Geldliebe”, „Eigenliebe”, „die Liebe der Erste sein zu”, „Liebe des Vergnügens”, „Liebe der Gastfreundschaft und Freundschaft” gehören zu phileo, der Pflichtliebe oder einer Liebe, die auf Grund einer Ursache oder einer Forderung besteht. Petrus ermahnt uns, daß wir der brüderlichen Freundlichkeit (phileo) den nächst höheren Grad der selbstlosen Liebe – agapee – hinzufügen. – 2. Petrus 1:7

Selbstlose Liebe (Agapee) illustriert

„Denn so hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab.” – Johannes 3:16 Die Liebe, die des Menschen Erlösung forderte, war nicht phileo oder Pflicht-Liebe, denn Gott hatte Seinen Schöpfungen mit dem Todesurteil keinen Schaden zugefügt, noch hatte der Mensch jemals irgendetwas für Seinen Schöpfer getan, welche letztere unter die Verpflichtung oder Pflicht-Liebe zurückführen konnten.

„Gott aber erweist Seine Liebe zu uns darin, daß Christus, als wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist.” – Römer 5:8 Diese Liebe (agapee), die Gott veranschaulicht, ist die Art, die Er uns als den Maßstab oder das „Ziel” vorlegt, nach dem wir rennen müssen, wenn wir den Preis erlangen möchten; – ein Ziel, das unmöglich durch unser gefallenes Fleisch zu erlangen ist, aber durch unsere erneuten Sinne, Willen und Herzen. Dieser Maßstab wird durch die Worte ausgedrückt: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand und deinen Nächsten wie dich selbst.” – Lukas 10:27 und Römer 3:9

„Das Ziel der Weisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben.” – 1. Timotheus 1:5 Das heißt, das Ziel all unserer Anweisung und Disziplin besteht von Seiten Gottes darin, uns zu dieser Charakterähnlichkeit von Ihm selbst zu bringen, die in diesem Wort agapee – Liebe dargestellt wird, denn „Gott ist Liebe, [agapee] und wer in der Liebe [agapee] bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.” – 1. Johannes 4:16

Wir müssen als „Geschwister” jene erkennen, die nur das phileo-Maß der Pflicht-Liebe besitzen, wie Paulus es erkannte, als er schrieb: „Grüße alle, die uns lieben [phileo] im Glauben!” – Titus 3:15 Wir müssen aber danach trachten, „die Brüderschaft zu lieben” – 1. Petrus 2:17-, mit agapee oder höherer Liebe, die das gegenwärtige Leben nicht für kostbar und zu erretten wert rechnet, sondern das Leben froh für die Geschwister niederlegt in täglichen und stündlichen Opfern von Zeit und Geld und aller irdischen Interessen in ihrem Namen. – 1. Johannes 3:16

Petrus unterscheidet die beiden Deutungen der Liebe in einem Satz, in welchem er feststellt: „Da ihr eure Seelen durch den Gehorsam gegen die Wahrheit [bis zu dem Maß] zur ungeheuchelten Bruderliebe [phileo] gereinigt habt, so liebt [agapee] einander anhaltend, aus reinem Herzen.” – 1. Petrus 1:22

„Liebe [agapee] tut dem Nächsten nichts Böses. Die Erfüllung des Gesetzes ist also Liebe [agapee].” – Römer 13:10 In 1. Korinther 8:1 wird agapee mißverstanden als „Nächstenliebe” übersetzt – „Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe [agapee] aber erbaut.” Es ist agapee, die in des Apostels großem Vortrag über Liebe in 1. Korinther 13:1 – 4,8 und 13 sowie 14:1 falsch als „Nächstenliebe” übersetzt ist. Hier stilisiert er agapee-Liebe zur vornehmlichen Angelegenheit des christlichen Charakters, die Krone aller christlichen Gnaden, indem er uns sagt, daß ohne sie alle Opfer und Selbstverleugnung in Gottes Wertschätzung ohne Wert wären, während mit ihr als dem inspirierenden Motiv unsere schwächsten Anstrengungen durch Christus annehmbar sind.

Petrus wird weise und sanft getadelt

Soweit der Bericht zeigt, waren diese Fragen, die seine gegenwärtige Liebe betrafen, die einzigen, mit denen unser Herr Petrus in dem Bericht wegen seiner zeitweisen Abweichung und Verleugnung tadelte; und hier haben wir eine Lektion, welche sich viele von des Herrn Volk sehr zu Herzen nehmen sollten. Viele fühlen, daß sie von einem Bruder oder einer Schwester eine sehr entschiedene Entschuldigung für irgendeine Handlung der Unhöflichkeit verlangen könnten, sogar wenn sie viel unbedeutender gewesen wäre, als die Missetat des Petrus. Wir wollen diese Lektion gut lernen, andere sehr sanft, sehr anständig und freundlich zu tadeln, eher mit einem Hinweis als mit einer Anklage und einem Detail des falschen Handelns – eher mit einer Anfrage über ihre gegenwärtige Herzenseinstellung, als über eine frühere Einstellung ihrer Herzen, in der, wie wir wissen, sie sich geirrt haben. Wir sollten weniger sorgfältig hinsichtlich der Forderung nach Bestrafung sein, sondern vielmehr für die Wiederherstellung des Irrenden von dem Irrtum seines Weges. Wir sollten nicht versucht sein, einander zu richten und für Missetaten zu bestrafen, sondern eher uns daran zu erinnern, daß dies alles in den Händen des Herrn ist. Wir sollten nicht in irgendeinem Sinn versuchen, uns selbst zu rächen oder eine Bestrafung oder eine Wiedergutmachung für das Böse zu erteilen. Dies ist nicht als eine Aufhebung elterlicher Verpflichtung Kinder zu beurteilen und zu strafen zu verstehen, obwohl das Prinzip der Liebe auch dort volle Kontrolle bei dem Maß unserer Beurteilung ausüben soll. Wir sollten Freundlichkeit, Liebe und Wohlwollen gegenüber allen zeigen, besonders gegenüber jenen, die Nachfolger Jesu sind. Was Petrus und seine Verleugnung des Herrn angeht und die Anfeindungen, die durch Geschwister über uns kommen, können wir erkennen, daß unter göttlicher Vorsehung immer eine korrektive Strafe oder Zucht, direkt oder indirekt erfolgt; wir aber nicht versuchen sollen, jene Strafen zu erteilen noch eine Verdammung zu befürworten für die, die im Irrtum sind und ihren Irrtum erkennen. Wir sollten eher weise mit ihnen Mitgefühl zeigen, indem wir ihnen helfen, die gute Lektion zu lernen.

Andererseits hätten wir es jedoch alle als eine edle Handlung angesehen, wenn Petrus dem Herrn bei der ersten Gelegenheit zu Füßen gefallen wäre und seine Vergebung für die Schwachheit in der Vergangenheit erfleht hätte. Wir würden ihn um so mehr geliebt und geehrt haben für eine so zu Herzen gehende Kundgebung seiner Reue. Obwohl der Bericht dies nicht sagt, könnte er dies getan haben. Geschwister, die zu irgendeiner Zeit die Rechte, Interessen und Gefühle von anderen übertreten haben, jedoch unabsichtlich, sollten sich sogleich und von Herzen entschuldigen, obwohl Geschwister, welche die agapee-Liebe besitzen, dies nicht als eine Bedingung für Gemeinschaft verlangen würden.

In der Antwort, die unser Herr Petrus gibt, benutzt er drei verschiedene griechische Worte, zu drei verschiedenen Ermahnungen. Das erste Mal ermahnt er ihn, die Lämmer zu weiden, das zweite Mal die Schafe zu hüten; das dritte Mal, die schwachen und empfindlichen Schafe zu weiden. Dies läßt uns drei die Herde des Herrn betreffende Sichtweisen erkennen. Es gibt die Jungen, die Anfänger, die Lämmer und die Kleinkinder in Christus, die im christlichen Charakter unentwickelt sind und besondere Speisung mit der Wahrheit benötigen – „die Milch-Speise des Wortes”. Zweitens gibt es die mehr erwachsenen Schafe in der Herde des Herrn, von regerer Erkenntnis und reiferem Charakter, die gelernt haben, sich um ihre eigene Speisung mit der kostbaren Wahrheit zu kümmern, die aber trotzdem der Leitung, Anweisung und Aufsicht bedürfen. Drittens gibt es schwache Schafe, die der Zeit nach stark sein sollten, die fähig sein sollten, sich selbst zu ernähren auf Grund der Gaben, die der Herr in Seinem Wort gnädig vorgesehen hat, die aber durch die Schwachheiten des Fleisches oder Bedrängnis oder schlechte Speise oder aus verschiedenen Gründen keinen Fortschritt gemacht haben und daher schwach im Glauben sind. Diese müssen Speise bekommen und für sie muß gesorgt werden. Und all diese Angelegenheiten sind Teil der Pflichten eines Ältesten oder Aufsehers über die Herde des Herrn.

Während des Herrn Worte im Besonderen Petrus betrafen, als den Führer der Gruppe, richteten sich die Anweisungen zweifellos auch an alle elf, denn die Apostel waren alle Älteste, alle Aufseher der Herde des Herrn. Und die gleiche Botschaft ist auf alle heutigen Diener der Wahrheit anwendbar, wenn auch nicht im gleichen Maß. Wer jedoch durch die Gnade Gottes an einen Ort der Gelegenheit gesetzt worden ist, die Herde zu speisen, sollte es als eine der höchsten Vorrechte des Lebens betrachten, und jede Last und jedes Hindernis beiseite schaffen, damit er diesen Dienst mit Freude ausführen kann. So sagte der Apostel zu den Ältesten in Ephesus: „Habt acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in welcher der Heilige Geist euch als Aufseher gesetzt hat, die Gemeinde Gottes zu hüten.” – Apostelgeschichte 20:28

Diese drei Klassen der Herde des Herrn sollten heute vorgefunden werden: die Jungen, die Erwachsenen und Starken und die Schwachen und Zarten, die besondere Hilfe benötigen. Von dieser letzteren Klasse befinden sich heute viele in Babylon, und sie benötigen die hilfreiche Hand, die des Herrn Volk zu ihnen ausstrecken kann, sie sind schwach, verarmt durch einen Mangel an Speise, durch eine Hungersnot nach Brot und nach Wasser, aber danach, des Herrn Wort zu hören. – Amos 8:11 Sie haben lange Zeit die Worte menschlicher Theorien und „Traditionen der Ältesten” gehört und sind wegen ihrer Ungereimtheiten verhungert, und so sind sie, wo immer man sie findet, durstig und hungrig nach der Wahrheit, und sie benötigen, daß wie Petrus und all die anderen der Nachfolger des Herrn alles tun, was in ihrer Macht steht, solche von den Ketten des Irrtums und der Finsternis zu befreien, in denen sie festgehalten werden, und sie in Kontakt mit der geistigen Speise zu bringen, die der Himmlische Vater reichlich für sie vorgesehen hat.

Angesichts der bedenkenlosen Antworten des Petrus hinsichtlich seiner Pflicht-Liebe, machte der Herr eine Prophezeiung, die anzeigt, daß Petrus in der Tat bis zum letzten treu sein würde; und gab zu verstehen, daß er ein Blutzeuge durch Kreuzigung sein würde. Und die Geschichte berichtet uns, daß Petrus bis in den Tod treu war, und daß er auf Anordnung von Nero gekreuzigt wurde und auf seine Bitte hin kopfüber, indem er sich als unwürdig sah, den gleichen Kreuzestod zu sterben wie sein Herr.

Unseres Herrn Worte: „Folge mir nach!” wiesen nicht nur auf die geistige Gefolgschaft hin, sondern er wanderte auch am Ufer des Sees Genezareth entlang, und die Jünger folgten ihm nach. Nachdem Petrus des Herrn prophetische Erklärung, die ihn selbst betraf, gehört hatte und Johannes in der Nähe stehen sah, erkundigte er sich in Bezug auf dessen Zukunft – Was wird er tun? Was wird mit ihm geschehen? Wird er treu sein bis in den Tod? Wird er auch ein Blutzeuge sein? Unseres Herrn Ablehnung darauf zu antworten mag eher in dem Licht eines Tadels für Petrus und einer Lektion für uns alle betrachtet werden. Wir dürfen nicht die göttliche Vorsehung erfragen, sondern müssen uns ihr vielmehr unterwerfen. Es scheint ein Merkmal der menschlichen Natur zu sein, sogar in der Trübsal, in der Verfolgung, an Gemeinschaft zu denken, und viele wie Petrus haben sich verwundert, warum sie unterschiedliche Trübsale und Schwierigkeiten als jene haben sollten, die über einige andere von des Herrn Herde gekommen sind. Die Antwort, die der Meister Petrus gab, ist seine Antwort an alle, die so denken. „Was geht es dich an? Folge du mir nach!” Ein jeder von uns sollte die Lektion über Vertrauen in des Herrn Weisheit in allen unseren Angelegenheiten lernen, ob Er sie teilweise angezeigt hat oder sie noch verborgen hält. Wir können von Seiner Liebe und Weisheit und Macht wissen und können Ihm vertrauen, wo wir Ihn nicht beobachten können, und wir können zufrieden sein, welches Schicksal auch immer wir erkennen, weil wir wissen, daß es Seine lenkende Hand ist.

„Wenn ich will, daß er bleibt, bis ich komme”

Diese Worte unseres Herrn, die Johannes betrafen, scheinen die Apostel zu der Vermutung angeregt zu haben, daß Johannes nicht sterben würde, daß, während die anderen sterben würden, er am Leben bleiben würde bis zum zweiten Kommen Christi. Aber Johannes selbst sagt uns, daß Jesus nichts in dieser Richtung sagte; es war bloß eine Schlußfolgerung von Seiten der Jünger. Wir können in Johannes ein Bild von einigen der Kirche sehen, die am Ende des Evangelium-Zeitalters leben – bis zur zweiten Gegenwart des Herrn ist Johannes nicht lebendig, aber eine Klasse, die er darstellte, ist übriggeblieben und ist noch verblieben und wird dann „verwandelt” werden. Wir wollen, die wir bevorrechtigt sind, zu dieser Zeit der Gunst und Segnung und Erleuchtung übrigzubleiben, den Herrn verherrlichen und darauf sehen, daß die liebende Einstellung des Johannes sich in uns zeigt und auch seine Energie, sein Eifer; denn während er der liebende Bruder genannt wird, erinnern wir uns auch daran, daß er auch auf Grund seines impulsiven Eifers zusammen mit seinem Bruder als „Donnersohn” bezeichnet wurde. Wir wollen voller Energie sein, voller Opferwilligkeit, die Liebe auslöst, damit wir unseren Herrn in unseren Leibern und im Geist verherrlichen, welche sein sind. Zu diesem Zweck wird es gut sein, daß wir uns an des Herrn Worte erinnern, die sich an alle sieben wie auch an Petrus, ihren Sprecher, richteten: „Liebst du mich mehr als diese?” Die gleiche Frage entsteht bei allen von des Herrn Volk heute. Es ist notwendig, daß wir mehr oder weniger mit der Welt in Kontakt sind, bei dem Geschäft, bei den Pflichten zu Hause, bei gesellschaftlichen Annehmlichkeiten, usw., und die Frage ist: Wie sollen wir unsere Pflichten erfüllen, indem wir sie mit unseren Pflichten gegenüber dem Herrn als „Neue Schöpfungen”, Seiner „Königlichen Priesterschaft”, abstimmen? Sollte der Herr sehen, daß wir die irdischen Dinge mehr lieben als ihn? Wenn dem so ist, erklärt er uns, daß wir seiner nicht würdig sind, und er uns nicht als die Glieder seiner Braut anerkennen wird. Er will in jener auserwählten Kleinen Herde nur solche haben, die ihn über alles lieben – mehr als sie, Häuser, Land, Ehemänner oder Ehefrauen oder Kinder oder irgendwelche irdischen Dinge lieben. – Matthäus 10:37