Verlag und Bibelstudien-Vereinigung e. V.

Glückselig, wer sich nicht an mir ärgern wird

Lesedauer: 15 Minuten

Als Johannes der Täufer, in der Wüste von Judea vom nahen Königreich, dem „Reich der Himmel”, zu predigen beginnt, ist es ihm selbst noch verborgen, wer nach Gottes Vorsatz der König dieses Reiches sein soll. – Matthäus 3:2 und Johannes 1:33

Doch schon bald darauf konnte Johannes bestätigend sagen: „Ich schaute den Geist wie eine Taube aus dem Himmel herabfahren, und er blieb auf ihm.” – Johannes 1:32 – 34 Der Ewige, der ihn gesandt hatte, mit Wasser zur Buße zu taufen, hatte ihm nun auf diese eindrucksvolle Weise gezeigt, daß Jesus, den er von Kindheit an kannte, der von Gott erwählte Messias und König Israels sein sollte. Kurze Zeit später wird der Täufer von Herodes ins Gefängnis geworfen, und aus dem Gefängnis schickt er zwei seiner Jünger mit einer Frage, die einen gewissen Zweifel erkennen läßt: „Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?” – Matthäus11:3

Jesus, der zu dieser Zeit viele Wunderheilungen unter dem Volk vollbringt, und der gerade den Jüngling zu Nain vom Todesschlaf auferweckt hat – Lukas 7, gibt den Gesandten des Johannes folgende hinweisende Antwort: „Geht hin und verkündet Johannes, was ihr hört und seht: Blinde werden sehend, und Lahme gehen, Aussätzige werden gereinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird gute Botschaft verkündigt.” – Matthäus 11:4 und 5

Wir fragen uns, was war mit Johannes geschehen, daß er nun plötzlich unsicher drüber geworden war, ob Jesus wirklich der war, den er zuvor als Messias Israels angekündigt hatte? Und wie können wir die anscheinend ausweichende Antwort Jesu verstehen, mit der er die Boten zu Johannes zurückschickte?

Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Johannes in seinen Erwartungen, die er in den Messias Israels setzte, wie auch alle anderen, die den Worten des Johannes Glauben geschenkt hatten, enttäuscht waren. Welche Erwartungen hatten sie an das Erscheinen des Messias und Königs Israels geknüpft? War von dem Messias nicht prophezeit worden, daß er gleich David herrschen sollte, daß er Israel einen neuen Glanz verleihen würde, wie es in den Tagen Salomos der Fall war? Aber bis jetzt hatte sich keine ihrer Erwartungen erfüllt. Herodes herrschte weiterhin uneingeschränkt; und die verhassten Römer waren immer noch im Besitz ihres heiligen Landes.

Warum sitze ich hier in Ketten im Gefängnis, mag sich Johannes der Täufer, gefragt haben, und Herodes übt Macht über mich aus, während Jesus, wenn er der Messias ist, tatenlos zusieht?

Zudem hatte Jesus auf seine verständliche Frage: „Bist du der Kommende, oder sollen wir auf einen anderen warten?” weder mit „Ja” noch mit „Nein” geantwortet. Anstatt einer eindeutigen Antwort wies dieser auf sein Wirken in Israel hin: „Blinde werden sehend, und Lahme gehen, Aussätzige werden gereinigt, und Taube hören, und Tote werden auferweckt, und Armen wird gute Botschaft verkündigt” – das ganze Programm des Messias – und überläßt es Johannes selbst seine Schlüsse hieraus zu ziehen.

Wir können die Botschaft, die der Herr an Johannes richtet, mit eigenen, wenn auch unvollkommenen Worten so umschreiben: „Du fragst mich, ob ich der Messias bin. Schau auf meine Werke, sie geben dir die Antwort. Könnte ich in dieser Weise wirken und die Werke des Messias tun, Blinde sehend machen und Taube hörend, Lahme wandeln lassen und Aussätzige reinigen – ja sogar Tote auferwecken – wenn mir nicht als Messias diese Macht von Gott verliehen worden wäre? Aber daß ich die mir vom Vater verliehene Macht jetzt noch nicht in der Weise einsetze, wie du dies erwartet hast, hat seine Gründe, die ich dir jetzt noch nicht offenbaren kann. Du tust gut daran, wenn du an mir und dem, was ich jetzt tue, keinen Anstoß nimmst.”

Im Licht der gegenwärtigen Wahrheit können wir erkennen, daß es zu jener Zeit, als Johannes lebte, nicht Gottes Absicht war, Jesus als den Messias allem Volk zu offenbaren. Johannes konnte diesen Grund zu seiner Zeit natürlich nicht verstehen, und der Herr gab ihm darum auch keine weitere Erklärung, als diese Worte seiner Antwort, die er mit den allgemein mahnenden Worten verband: „Glückselig, wer sich nicht an mir ärgern wird!”

Heute, zur Zeit der zweiten Gegenwart des Herrn, erkennen wir aus der Heiligen Schrift wie auch aus den Schriftstudienbänden, daß das Leben des Täufers Johannes in vielen Details vorbildlich war und zu unserer Belehrung diente.

Es wird uns durch die Schrift gezeigt und erklärt, warum der Messias während seiner ersten Gegenwart den weltlichen Dingen ihren Lauf ließ und nicht machtvoll eingriff, um Johannes vor der Hinrichtung durch Herodes zu bewahren, obwohl er die Macht dazu gehabt hätte. Es wäre in seiner Situation auch nicht ratsam gewesen, weil ihn das Volk bei einer solchen Machtdemonstration mit Sicherheit sogleich zum König Israels ausgerufen hätte. Es war aber Gottes Absicht, daß der Messias während seiner ersten Gegenwart leiden und sein Leben als ein Loskaufopfer für alle Menschen geben sollte.

Wir wissen nicht, ob Johannes die Antwort Jesu in ihrem verborgenen Sinn völlig verstanden hat. Eines muß er jedoch verstanden haben, daß der Gesalbte nicht beabsichtigte sich ihm durch ein weiteres Zeichen als der „Gekommene” zu offenbaren, sondern daß seine Gegenwart allein an seinem Handeln erkannt werden sollte, wie dies im Prinzip auch auf seine zweite Gegenwart zutrifft.

Glückselig, wer sich nicht an mir ärgern wird

Die mahnenden Worte: „Glückselig, wer sich nicht an mir ärgern wird”, die Jesus den Jüngern des Johannes mit auf den Weg gibt, haben auch in unserer Zeit der zweiten Gegenwart nicht an ihrer Bedeutung verloren. Dabei richtete er seine Worte nicht allein an Johannes, er sagte nicht: „Glückselig bist du, Johannes, wenn du dich nicht an mir ärgern wirst”, sondern er sagte: „Glückselig, wer sich nicht an mir ärgern wird.” Wir können an der Wahl seiner Worte erkennen, daß diese Mahnung allgemein ausgesprochen wurde und sich an alle „Israeliten” richtete, an die vom „fleischlichen Haus Israel”, zu dem auch Johannes der Täufer, zählte, und an die vom „geistigen Haus Israel” – bis zur jetzigen Zeit.

Auch wenn diese Ermahnung während des ganzen Evangelium-Zeitalters bestanden hat, so trifft sie im besonderen in unseren Tagen zu, in denen der Widersacher doppelte Anstrengungen macht, uns von dem Herrn und von der Wahrheit zu entfernen. Ja, er geht umher wie ein brüllender Löwe, und sucht, wen er verschlingen kann.

Was bedeutet es, „sich an dem Herrn zu ärgern?” Was können wir darunter verstehen? Wir wollen zunächst nach der Bedeutung des Wortes forschen, den es im griechischen Sprachgebrauch hat und im weiteren nach den Möglichkeiten der Übersetzung in die deutsche Sprache.

In der griechischen Sprache ist das Wort, das in vielen deutschen Übersetzungen mit „sich ärgern” wiedergegeben wird, das Wort SKANDALIZO. Nach dem biblischen Lexikon kann das griechische Wort SKANDALIZO in der deutschen Sprache auf verschiedene Art und Weise übersetzt werden, nämlich als „Anstoß nehmen” – „zur Sünde verleitet werden” – als auch „sich zur Sünde verleiten lassen”. Das Rienecker-Bibellexikon spricht in seiner Übersetzung von „zu Fall bringen” und „irre werden”. Hermann Menge übersetzt: „und selig ist, wer an mir keinen Anstoß nimmt” – und fügt noch in Klammern als weitere Übersetzungsmöglichkeit hinzu „nicht irre wird”.

Ebenso ist für uns das griechische Substantiv SKANDALON von Bedeutung, dessen bildlicher Ursprung in dem „Auslöser einer Falle” gesehen wird. Entsprechend dieser Darstellung wird in der Elberfelder Studienbibel in Offenbarung 2:14, wo von Bileam die Rede ist, gesagt, daß dieser „den Balak lehrte eine Falle vor die Söhne Israels hinzustellen, so daß sie Götzenopfer aßen und Unzucht trieben”. – Das griechische Wort SKANDALON ist auch in abgewandelter Form in die deutsche Sprache übernommen worden. Wenn irgendetwas unseren Anstoß erregt, so bezeichnen wir dies oft als einen Skandal.

Wir brauchen hier nicht lang zu überlegen, wer auf unserem schmalen Weg der Nachfolge die „Fallen stellt”, und wer uns „zu Fall bringen” möchte. Es ist Satan, der Widersacher Gottes und des Menschen, der in den Psalmen auch als „Vogelsteller” bezeichnet wird. – Psalm 91:3

Normalerweise wird eine Falle im Geheimen aufgestellt und durch die Berührung eines Köders ausgelöst, dem man die gefährliche Auswirkung als Auslöser einer Falle nicht ansehen kann. Wir möchten dieses Bild hier auf die geistige Ebene übertragen und an einem biblischen Beispiel veranschaulichen. Jesus bereitete seine Jünger darauf vor, was ihm bevorstand und in Jerusalem erwartete, daß „er nach Jerusalem hingehen müsse und von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten vieles leiden und getötet und am dritten Tag auferweckt werden müsse.” – Matthäus 16:21

Petrus, der den Herrn sehr liebt, ist erregt, als er dies hört und widerspricht dem mit den Worten: „Gott behüte dich, Herr! Dies wird dir keinesfalls widerfahren!” Der Herr aber wendet sich zu Petrus um und spricht: „Geh hinter mich Satan! Du bist mir ein Ärgernis (SKANDALON), denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist.” – Matthäus 16:23

Der Herr Jesus erkannte, daß Satan ihm eine Falle stellen wollte und dabei Petrus als „Auslöser” dieser Falle benutzte. Petrus dagegen wurde auf eine hinterhältige Art und Weise vom Widersacher benutzt, indem er die Liebe und Fürsorge, die Petrus für seinen Meister zeigte, dazu benutzte, Gottes Pläne zu durchkreuzen, „daß sein Christus leiden sollte”.

Wir sollten dies beachten, daß immer dann, wenn auf Grund der Wahrheit ein Ärgernis entsteht, oder der Herr und die Wahrheit zu einem Anstoß werden, dies nicht von ungefähr kommt, sondern der Widersacher im Hintergrund steht und mit Raffinesse eine Falle aufbaut.

Der Stein des Anstoßes und Fels des Ärgernisses

Jahrhunderte vor dem Erscheinen des Messias hatte der Prophet Jesaja von einem „Stein” gesprochen, der den beiden Häusern Israel zu einem „Stein des Anstoßes und Fels des Strauchelns” werden sollte. – Jesaja 8:14 Der Apostel Petrus – der die Erfüllung dieser Prophezeiung als Augenzeuge miterlebt hatte – schrieb in seinem Brief an seine Mitbrüder: „Euch nun, die ihr glaubt, (bedeutet er) die Kostbarkeit; für die Ungläubigen aber (gilt) ‚Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, dieser ist zum Eckstein geworden‘, und ‚ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses’… .” – 1. Petrus 2:7 und 8

Uns und allen anderen wahren Israeliten, die von Mose zu Christus hinübergegangen waren, wurde der Herr als ihr Befreier zum Erretter und kostbaren Eckstein. Der überwiegenden Mehrzahl des Volkes wurde er damals – und wird es auch heute noch – zum „Stein des Anstoßes” und „Fels des Ärgernisses und des Strauchelns”.

Der Apostel Paulus spricht im Römerbrief aus eigenen früheren Erfahrungen, wenn er erklärt, daß „Israel einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebte”. Als Pharisäer und Schüler Gamaliels war er selbst mit den Gesetzen und Bräuchen des Judentums bestens vertraut. Ja, er selbst hatte nach diesem Gesetz gelebt, und er sagte von sich, daß er „dem Eifer nach ein Verfolger der Gemeinde; der Gerechtigkeit nach, die im Gesetz ist, untadelig geworden sei”. – Philipper 3:6

So wie Paulus es schildert, dachten auch die Schriftgelehrten und Pharisäer und Ältesten, die das Volk beeinflußten. Als natürliche Nachkommen Abrahams und Erben der Verheißung waren sie von Gott gesegnet, und sie hatten Mose, mit dem Gott einen Bund am Sinai geschlossen hatte. Sie waren etwas Besonderes. Sie waren in ihren Augen gerecht und ohne Sünde und nicht wie die anderen Heidenvölker außerhalb Israels. Wozu bedurften sie da noch eines Erlösers?

So galt ihr ganzes Interesse, als sie nach ihrem Messias ausschauten, einem mächtigen König und Herrscher, der sie vom Römerjoch befreien würde; und sie übersahen dabei, „das Lamm”, das die Sünde der Welt wegnehmen sollte.

Wir verstehen die Worte Jesajas als die des gesamten Volkes, wenn er vom Messias sagt, „Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; und als wir ihn sahen, da hatte er kein Ansehen, daß wir seiner begehrt hätten… ” – Jesaja 53:2

So wurde ihnen das „Lamm” zum SKANDALON – zum Auslöser einer Falle.

Es ist nicht die Person Jesus, die für die Juden ein „Stein des Anstoßes” ist. Es ist sein Anspruch, der Sohn Gottes und der verheißene Messias zu sein. Dieser Anspruch war und ist für sie ein „Skandal” bis auf den heutigen Tag.

Die Befreiung von ihren äußeren Feinden, den Römern, die das Volk Israel mit dem Erscheinen ihres Messias in Verbindung brachte, wurde zur Befreiung von den wirklichen Feinden des Menschen von Sünde und Tod, als Jesus sein unschuldiges Leben als ein Lösegeld für alle Menschen gab.

Diese fundamentale Lehre vom „Lösegeld für alle” ist bis heute nicht nur für die Juden, sondern auch für „Christlichen Nationen” in einer bestimmten Weise zu einem „Fels des Ärgernisses” geworden. Wer aber diese Grundlage der guten Botschaft des Evangeliums verändert oder verwirft, der verwirft auch den Herrn und die Wahrheit. Paulus schreibt an die Korinther: „Und weil denn Juden Zeichen fordern und Griechen Weisheit suchen predigen wir Christus als gekreuzigt, den Juden ein Ärgernis und den Nationen eine Torheit; den Berufenen selbst aber Juden wie Griechen, Christus, Gottes Kraft und Gottes Weisheit.” – 1. Korinther1:22 und 23

Was der Prophet Jesaja prophetisch über die „beiden Häuser Israel” sagte, daß ihnen der Messias, oder wie wir sagen, der Christus, zu einem „Stein des Anstoßes” und einem „Fels des Strauchelns” werden würde, sehen wir heute in einem viel größeren Rahmen erfüllt, als der Prophet dies zu seiner Zeit verstehen konnte. Heute, zur Zeit des Endes des Evangelium-Zeitalters, können wir erkennen, daß Prophezeiungen sowohl eine vorbildliche als auch eine gegenbildliche zeitgemäße Erfüllung haben können. In dieser Weise wird das natürliche fleischliche Israel oft zum Schattenbild des geistigen Israel – wie auch der Apostel Paulus im Brief an die Korinther sagt, daß aber „diese Dinge als Vorbilder für uns geschehen sind”. – 1. Korinther 10:6

So erkennen wir deutlich, daß zu jeder Zeit in den „beiden Häusern Israel” viel „Spreu” und nur wenig „Weizen” vorhanden ist.

Das Anstoßnehmen an Christus und seinem Wort äußert sich auf verschiedene Art und Weise. Ein großer Teil der Menschen hält die Erkenntnisse der Wissenschaft für den Maßstab aller Dinge und prüft die inspirierten biblischen Aussagen anhand der wissenschaftlichen Aussagen. Sie schenken der Theorie eines Darwin größere Beachtung und Glauben als dem Wort Gottes.

Lehrer und Prediger der nominellen Kirchen bekennen sich öffentlich dazu, daß sie die biblischen Berichte über die Erschaffung und den Sündenfall des Menschen, über Abraham, Jonas, Noah, Hiob und andere für Mythen und Legenden halten, und das, obwohl unser Herr in den Evangeliumsberichten ihre Existenz eindeutig bestätigt. – Matthäus 8:11, 12:40 und 41, 24:37 Wie wahr und zutreffend stellt Paulus die Frage: „Wo ist der Weise? Wo der Schriftgelehrte? Wo der Schulstreiter dieses Zeitlaufs?” – 1. Korinther 1:20

Wir könnten noch vieles anführen, so die Entwertung des ein für allemal gegebenen Lösegeldes durch das Messopfer in der katholischen Kirche, die Entwertung der Auferstehungshoffnung durch die Irrlehre von der „unsterblichen Seele”, die anmaßende Behauptung, daß der Papst der Stellvertreter Christi auf Erden sei, die Anbetung und Erhöhung der Maria zur Himmelskönigin, usw. Wie wir sehen, ist Christus und die von ihm verkündigte Wahrheit zu einem „Stein des Anstoßes” und „Fels des Strauchelns” für die „beiden Häuser Israel” geworden.

Wir könnten hier vielleicht denken, nun gut, dies alles betrifft das Namenchristentum, und was haben wir als Bibelforscher damit zu tun? Als wahre Nachfolger Christi haben wir uns doch von den Systemen des Irrtums und ihren falschen Lehren und Theorien getrennt. Und als solche verkündigen wir einen Gott der Liebe und Barmherzigkeit, und wir bekennen Christus im Licht der Wahrheit als den einzigen Fels unserer Errettung.

Anlaß zur Sünde geben

Aber laßt uns nicht vorschnell urteilen, daß die Ermahnung unseres Herrn: „Glückselig, wer sich nicht an mir ärgern wird”, uns nicht mit eingeschlossen haben könnte. Wie viele Freunde haben sich im Laufe der Zeit der Prüfung ihres Glaubens von der Wahrheit abgewandt, die einst mit uns den gleichen Weg gingen? Wie viele verkünden inzwischen ein „anderes Evangelium” nach eigener Auslegung?

Auch diese müssen in irgendeiner Weise an „Christus” Anstoß genommen haben. Die ersten Anzeichen eines Anstoßnehmens offenbaren sich oft in Zweifeln an dem inspirierten Wort der Wahrheit. Einige schämen sich des Kreuzes Christi oder derer, die ihr Kreuz geduldig und mit Ausharren tragen.

Aber es ist nicht immer die Wahrheit allein, die zum Prüfstein wird und ein „sich ärgern” an dem Christus offenbart. Sinngemäß ist ein Ärgernis, daß gegenüber einem Bruder oder einer Schwester in Christo entsteht, auch ein Ärgernis an dem Christus. Dies geht deutlich aus den Worten unseres Herrn in Matthäus 18:6 hervor, wo es nach der Übersetzung der Elberfelder Studienbibel heißt: „Wenn aber jemand einen dieser Kleinen, die an mich glauben, Anlaß zur Sünde gibt, für den wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt und er in die Tiefe des Meeres versenkt würde.”

Das Ursprungswort Skandalon wird hier nicht als „sich ärgern” wiedergegeben. Wir glauben, daß die hier gewählte Übersetzung „Anlaß zur Sünde geben” überzeugend und zutreffend ist, weil sie die große Gefahr zeigt und beim Namen nennt, die für das geistige Leben eines anderen besteht, wenn wir ihm unsererseits einen Anlaß zu sündigen geben. Eine weitere Übersetzungsmöglichkeit wird in einer Fußnote mit dem Begriff „einen Fallstrick legen” angezeigt, die in ähnlicher Weise das entstehende Unrecht offenbart.

Wir erkennen in diesen schwerwiegenden Worten die große Verantwortung, die uns das Wort Gottes als Christi Nachfolger auferlegt, aufeinander acht zu haben und zu wachen, daß wir nicht auf irgendeine Weise durch unsere Worte oder unser Tun einen Anlaß zur Sünde geben. Der Apostel Paulus spricht in seinem Brief an die Korinther von der Freiheit des Gewissens, die dem Schwachen aber nicht zum Anstoß werden darf und stellt dabei zutreffend fest: „Wenn ihr aber so gegen die Brüder sündigt und ihr schwaches Gewissen verletzt, so sündigt ihr gegen Christus. Darum, wenn eine Speise meinem Bruder Ärgernis gibt (Anlaß zur Sünde) so will ich nie und nimmer Fleisch essen, damit ich meinem Bruder kein Ärgernis (keinen Anlaß zur Sünde) gebe.” – 1. Korinther 8:12 und 13

Wir wissen von anderen praktischen Beispielen in unserem Leben, wie zum Beispiel von üblem Nachreden, Eifersüchtelei, zornigen und unbedachtem Reden, in die wir, wenn wir nicht wachsam sind, so leicht verfallen können. Dies sind Verhaltensweisen, die den Nächsten oft zu einer noch gesteigerten Erwiderung reizen können, die ihm dann seinerseits zur Sünde wird. Wenn wir in dieser Weise mit einem Bruder oder einer Schwester sprechen, so „ärgern” wir sie, das heißt, wir geben ihnen einen Anlaß zur Sünde und sündigen dabei selbst gegen Christus.

In den Augen des Herrn ist es also nicht nur verwerflich, wenn wir selbst sündigen, sondern auch, wenn wir auf irgend eine Art und Weise einen Anlaß geben, durch den ein Bruder zu sündigen verleitet wird.

Wir leben in einer Welt, die mit ihrem Überangebot zur Befriedigung des Fleisches einen sehr verführerischen Einfluß ausübt. Durch die Medien, besonders durch das Fernsehen, werden uns „die schönen Seiten des Lebens” gezeigt. Genuß und Luxus werden als erstrebenswerte Lebensziele gepriesen und Wünsche geweckt. Auch wenn wir als Geweihte ein geistiges Ziel verfolgen, bleibt doch die Gefahr einer stetigen Beeinflussung und Verlockung gegenüber den Bestrebungen der Welt bestehen. Unser Herr warnt uns vor solchen Verführungen mit der ungewöhnlichen bildlichen Aussage: „Wenn dein Auge dir Anlaß zur Sünde gibt, so reiß es aus und wirf es von dir. Es ist besser für dich, einäugig in das Leben einzugehen als mit zwei Augen in die Hölle des Feuers geworfen zu werden.” – Matthäus 18:9

In symbolischer Sprache gibt uns unser Meister zu verstehen, daß es für uns lebensnotwendig ist – soweit es sich dabei um unser ewiges Leben handelt – uns endgültig und um jeden Preis von Dingen zu trennen, die uns ein Anlaß zur Sünde werden können. Auch wenn es uns Schmerz bereitet, weil uns die Dinge, auf die wir verzichten sollen, kostbar und unersetzbar erscheinen, so müssen wir uns doch ohne zu zögern davon trennen.

Wir könnten uns von einer lieben Gewohnheit trennen, weil das Wort Gottes uns dies empfiehlt. Aber unser Gehorsam könnte pflichtgemäß und mit einem Seufzen sein: wenn es doch nur nicht verboten wäre! – Bei einer solchen Rückschau zur Welt ist die Gefahr der Verführung zur Sünde nicht völlig beseitigt, und wir können sicher sein, daß in diesem Fall der Widersacher zu gegebener Zeit einen weiteren Anlaß finden wird den Versuch zu unternehmen, uns zur Sünde zu verlocken.

Unser Herr zeigt uns den folgerichtigen Weg, wenn wir uns von Dingen trennen, von denen wir erkannt haben, daß sie für uns auf dem Weg der Nachfolge hinderlich oder schädlich sind. Er sagt von dem Auge, durch welches Wünsche erweckt werden: „Reiß es aus, und wirf es von dir.” – Wirf es soweit wie nur möglich von dir, damit es aus deinem Blickfeld verschwindet und du nicht mehr an Wünsche erinnert wirst, die deinem geistigen Leben zum Schaden gereichen. Nur ein wenig Sauerteig verdirbt die ganze Masse!

Laßt uns immer an die Worte unseres Herrn in Lukas 9:62 denken: „Niemand der seine Hand an den Pflug gelegt hat und zurückblickt, ist tauglich für das Reich Gottes.“