Frage von 1915: Wenn die Strafe für das Vergießen gerechten Blutes, wie es beginnend mit dem Mord an Abel bis hin zu unserem Herrn geschehen ist, im Jahr 70 n. Chr. über die Juden kam, wie können wir die Züchtigungen erklären, die sie das ganze Evangeliumszeitalter hindurch erfahren haben?
Antwort:
Wir wissen, daß die Juden zu der Zeit, als der Tod des Herrn unmittelbar bevorstand, schrien: „Sein Blutkomme über uns und unsere Kinder.” Nicht nur waren sie bereit, persönlich die Verantwortung für Jesu Tod auf sich zunehmen, sondern sie wollten dies auch für ihre Nachkommen. Sicherlich hatte Gott in Seinem Vorherwissen derHandlungen dieses Volkes und dessen Gesinnung von Anfang an ihre „sieben Zeiten der Ungnade” vorgesehen. Und Er hat dafür gesorgt, daß dies von Moses in seinem vierten Buch – Kapitel 26:18 – 45 – niedergeschrieben wurde. Dort erklärt Gott, daß Er über die Israeliten, sollten sie die Zuwiderhandlungen gegen ihren Bund nicht bereuen, und sollten sie durch die wiederholten Züchtigungen nicht zur Umkehr bewegt werden können, „sieben Zeiten” der Strafe und der Vergeltung bringen würde.
In der Zeitrechnung der Bibel ist eine „Zeit” ein symbolisches Jahr. Dem jüdischen Kalender nach bestand ein Jahr aus 360 Tagen; daher bedeutet in der symbolischen Darstellung jedes Jahr 360 Jahre, und sieben solcher symbolischen Jahre 2.520 tatsächliche Jahre. Diese „sieben Zeiten” begannen 606 vor Christus mit der Zerstörung Jerusalems und dem Wegführen des ganzen Volkes in die Gefangenschaft nach Babylon, also zu der Zeit, als die vorhergesagten 70 Jahre der Verödung des Landes einsetzten. – Jeremia 25:8 – 12, 2. Chronika 36:14 – 22
In dieser langen Leidenszeit Israels hat der Herr den Nationen Gelegenheit gegeben zu zeigen, was sie mit ihren Regierungen für die Welt ausrichten können. Gott ließ wissen, daß Er während dieser „Zeiten” ganz anders als davor mit Seinem Bündnisvolk umgehen werde. Er würde dann den entgegengesetzten Weg einschlagen und sie unter die Nationen zerstreuen; und sie würden von ihren Feinden beherrscht werden usw. Aus der Geschichte wissen wir, daß die Juden tatsächlich seit dieser Zeit von anderen Völkern unterdrückt wurden, daß sie keinen König haben, und die Dinge sich genauso entwickelt haben, wie es der Herr vorausgesagt hat. Diese Erfahrung war für Israel zugleich günstig und ungünstig. Es war nicht nur eine Bestrafung für ihre Sünden; es war und ist auch eine Erfahrung, die der Herr ihnen zu ihrem Besten hat angedeihen lassen.
„Bevor ich gedemütigt ward, irrte ich.“ (Ps.119:67)
Während der „sieben Zeiten” widerfuhren den Juden nun schlimme Kümmernisse und Züchtigungen. Wer sich zu Gottes Volk rechnete, in welchem Zeitalter auch immer, hat zu seiner Korrektur und Entwicklung die Züchtigung gebraucht, der eine mehr, der andere weniger. Gott sagte zu Seinem geistigen Israel: „… denn wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt? Wenn ihr aber ohne Züchtigung seid …, so seid ihr denn Bastarde und nicht Söhne.” – Hebräer 12:7 und 8 Genauso verhielt es sich mit dem Haus der Knechte, dem fleischlichen Israel. Da sie Gottes Bündnisvolk waren, handelte Er mit ihnen, und Er hat sie diese 2.520 Jahre hindurch Erfahrungen machen lassen, die sich für solche vorteilhaft auswirken, die sich bemühen das Rechte zu tun. Diese bitteren Erfahrungen erwiesen sich als so heilsam, daß Israel als Volk beim ersten Kommen Jesu das heiligste Volk der Welt war, und damals hatten sie erst einen kleinen Teil dieser „sieben Zeiten” durchlitten.
So können wir davon ausgehen, daß es, als das Evangelium durch unseren Herrn und seine Apostel verkündigt wurde, unter den Juden etwa fünfhundert gab, die bereit waren zu glauben und Jesus als ihren Messias anzunehmen. Und wenig später, kurz nach Pfingsten, wird uns berichtet, daß Tausend glaubten. Diese waren, wie die Schrift sagt, wahre Israeliten, in denen kein Falsch war. Es ist durchaus bemerkenswert, daß in Israel eine so große Zahl von Menschen war, die den Messias bereitwillig aufnahmen. Das wäre nicht der Fall gewesen, wenn sie jene züchtigenden Erfahrungen zu ihrer Korrektur nicht gemacht hätten. Diese Erfahrungen hatten alle darauf abgezielt, sie von den Nationen fernzuhalten, sie davon abzuhalten, sich mit welchem Volk auf der Erde auch immer zu vermischen.
Wenn die Juden unter den verschiedenen Regierungen – Babylon, Medo-Persien, Griechenland und Rom – zu Wohlstand gekommen wären, hätten sie sich vielleicht mit jenen Völkern vermischt und hätten aufgehört Juden zu sein. Das gilt auch hinsichtlich ihres eventuell erfolgreichen Lebens seit ihrer Verwerfung als Nation unter Titus 70 nach Christus. Nach Gottes Plan mußten die Juden im ganzen Evangeliumszeitalter Verfolgungen erleiden, um sie vom Rest der Welt zu scheiden. So blieb ihr Denken in jenem Zustand der Demut, in dem sie für den Dienst Gottes am besten vorbereitet sind, wenn die Zeit ihrer völligen Wiederaufnahme in die Gnade kommt.
Wir sind der Ansicht, daß, wenn diese Zeit da ist, die Israeliten in viel höherem Maß als jedes andere Volk willens und bereit sein werden, das Reich Gottes anzunehmen. Die hinter ihnen liegenden bitteren Erfahrungen, ihr Gehorsam dem Gesetz gegenüber usw. werden sie darauf vorbereitet haben. Daher ist diese lange Zeit ihrer Leiden und ihrer Bedrängnisse nicht nur unter dem Aspekt von Not und Bestrafung zu sehen. Zu ihrem schließlichen Heil sollten die Juden bis zur völligen Vorherrschaft von den Nationen unterdrückt werden.
Israel wird wieder gesammelt
Paulus sagt uns, daß unmittelbar nach dem Eingehen der Vollzahl der Kirche Gottes Gunst zu den Juden zurückkehren wird – im umfassendsten Sinne des Wortes zurückkehren. Teilweise Blindheit hat Israel erfaßt, bis die Vollzahl aus den Nationen (die vorgesehene Anzahl der Glieder der Kirche, die aus den Nationen gesammelt werden soll) eingegangen sein wird. Und so soll ganz Israel gerettet werden. Wie geschrieben steht: „Es wird aus Zion (aus dem geistigen Zion, der verherrlichten Kirche des Evangeliumszeitalters) der Erretter kommen (der Christus, Haupt und Leib, Jesus und seine Braut), er wird die Gottlosigkeit von Jakob (dem fleischlichen Israel) abwenden; und dies ist für sie der Bund von mir, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde.” – Römer 11:26 und 27
Der Herr hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Sünden hinwegzunehmen – die Sünden Israels, die Sünden der Menschen, die die Kirche bilden sollten, und die Sünden der ganzen Welt. Zu diesem Zweck hat er sich geoffenbart, zu diesem Zweck ist er gestorben. Diese Wegnahme oder Vergebung der Sünden der ganzen Welt wird voranschreiten, sowie jeder dieses Geschenk des Himmels annehmen wird und den Regierenden gehorchen wird.
Die orthodoxen Juden, die nicht aufgehört haben, die Lehre des Gesetzes und der Propheten zu halten, und die an Gott glauben, werden als erste die Segnungen des neuen Zeitalters empfangen. „Hinsichtlich des Evangeliums sind sie zwar Feinde, um euretwillen (um der Kirche willen), hinsichtlich der Auswahl aber Geliebte, um der Väter willen.” – Römer 11:28 Daher also sind die andauernd bedrängten Lebensverhältnisse, die die Juden im ganzen Evangeliumszeitalter durchmachen mußten, zusätzlich zu der Verwerfung des Volkes 70 nach Christus, in Wahrheit eine Gunst Gottes. Die ganzen Verfolgungen, durch die dieses Volk während der „sieben Zeiten” der Züchtigung hindurchgehen mußte, werden sich schließlich als zu ihrem Heil herausstellen, denn sie stellen für die Juden eine Vorbereitung auf das Reich des Messias dar. Die Kirche wird in diesem Reich an erster Stelle stehen, als zweites kommt das fleischliche Israel mit den Alttestamentlichen Überwindern an ihrer Spitze. Darauf folgen alle anderen Nationen, die ihrerseits Gottes Gunst und Seine Segnungen erlangen und dem Volk Israel zugerechnet werden. Alle werden durch unseren Herrn und Erlöser Jesus Christus gesegnet.