Die Frage „Verlangte das Halten des Gesetzes Christi Tod?” ist von großer Tiefe und eine ganz besondere Frage. Auf der einen Seite könnte argumentiert werden, daß Christus einen Opfertod starb, und daß ein Gesetz, das den Tod eines Unschuldigen verlangt, nicht gerecht sein kann. Da nun Gottes Gesetz gerecht ist, verlangte es nicht den Tod eines Unschuldigen, und daher war es nicht notwendig, daß Jesus starb, um das Gesetz zu erfüllen. Doch das ist nur die eine Seite des Problems.
Die andere Seite ist die, daß unser Herr Jesus, der seinen Gott von ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit seinem ganzen Verstand und seiner ganzen Kraft liebte, und der sein Leben dem Tun des Willens seines Vaters geweiht hatte, diesen Willen ausführen und alles, was dem entgegenstehen würde, vermeiden wollte. Sobald er also verstand, daß es Gottes Wille war, daß der Loskaufpreis eines vollkommenen menschlichen Lebens für Adam und die ganze Menschheit bezahlt werden sollte, war er bereit sich dem Vater zu übergeben und in Treue alles hinauszuführen, was diese Weihung beinhaltete, weil er Gott liebte von ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit seinem ganzen Verstand und seiner ganzen Kraft.
Es ist außerdem vernünftig anzunehmen, daß unser Herr in dem Bewußtsein, daß die vielen Millionen Menschen, deren Nächster er durch seine Menschwerdung geworden war, sich in großen Schwierigkeiten befanden und nur durch ein Opfer seinerseits erlöst werden konnten, den Wunsch haben würde, etwas für ihre Befreiung zu tun. Sicher hat ihn dieser Wunsch zu seinem Opfer bewegt.
Wenn wir noch den Gedanken anfügen, daß Gott es nicht zulassen würde, daß unser Herr umkommt, sondern daß Er ihn zu Leben und Herrlichkeit wiederherstellt, und daß Jesus die Verheißung kannte, daß sein Verbleib im Tode nicht zugelassen würde, dann können wir leicht begreifen, daß er für seinen ungerechten Nächsten bereit war zu sterben, weil er jenen Nächsten liebte wie sich selbst.
Diese beiden so gegensätzlichen Gesichtspunkte kommen jedoch dahingehend zur Übereinstimmung, daß es dem Herrn freigestellt war zu entscheiden, was er tun wollte. Der Vater legte ihm eine mögliche Tat vor und stellte ihm eine große Belohnung in Aussicht; Er stellte ihm nicht etwa eine Falle mit einer Verpflichtung, die der Herr nicht ablehnen konnte. Wenn wir die Sache von diesem Standpunkt aus betrachten, sehen wir die Logik des ganzen Planes.
Bei seiner Weihung in der Taufe hatte unser Herr gesagt: „Siehe, ich komme … um deinen Willen, o Gott, zu tun.” – Hebräer 10:7; ich will nichts zurückhalten, was du verlangst. Dieses Gehorchen hätte sich auf genau das erstreckt, was das Gesetz von jedem fordern konnte. Wiederum hätte die Gerechtigkeit kein Opfer verlangt, denn darauf erstreckte sie sich nicht. Die Bereitschaft, alles vom Gesetz Verlangte zu tun, machte seitens des Herr sein Halten des Gesetzes aus. Dieser Punkt ist so subtil, daß er kaum mit Worten ausgedrückt werden kann. Es wurde uns jedoch gesagt, daß der Vater Jesus die große Belohnung in Aussicht gestellt hat, und daß er für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete. – Hebräer 12:1 und 2
Die Vorbilder, die Gottes Willen ausdrücken
Es besteht ein Unterschied zwischen dem Halten und dem Erfüllen des Gesetzes. Die Juden taten keines von beiden. Sie hielten das Gesetz teilweise aber nie vollumfänglich, und bemühten sich, immer noch mehr zu tun als sie tun konnten. Aber sie konnten das Gesetz nicht erfüllen, denn es ist so weitreichend, daß die Erfüllung all seiner Anforderungen die Kraft eines Menschen übersteigt.
Das Gesetz besteht aus zwei unterschiedlichen Teilen. Der eine Teil sind die Bestimmungen für das moralische Verhalten, die Pflicht aller Gott und den Mitmenschen gegenüber. In diesem Sinn steht das Gesetz für Gerechtigkeit, für das, was richtig ist. Die Juden bemühten sich, das Richtige zu tun und so das Gesetz zu halten, waren aber dazu nicht imstande aufgrund der ererbten Schwachheiten.
Unser Herr jedoch hielt das Gesetz in diesem Sinne. Dadurch erwarb er das Recht, auf menschlicher Stufe ewig zu leben. Das ist der Menschheit im nächsten Zeitalter beschieden. Sie erwerben die Fähigkeit das Gesetz zu halten und werden ewiges Leben bekommen, die Belohnung für die Einhaltung des Gesetzes. Aber Jesus hat mehr getan als das Gesetz der Gerechtigkeit zu halten. Er erfüllte den Teil des Gesetzes, der ihn betraf, und er erfüllt ihn noch immer.
Der andere Teil des Gesetzes besteht aus den rituellen Elementen, die die von Paulus genannten Vorbilder und Schatten darstellen. – Hebräer 10:1 Diese prophetischen Bestandteile des Gesetzes tragen in sich den Willen Gottes bezüglich der Vorgänge, durch die die Menschheit von der Stufe des Verfalls, der Sünde und des Todes zu seiner Gnade wiederhergestellt wird. Diese prophetische Erfüllung des Gesetzes bestand darin, im Gegenbild ein entscheidendes Element wirklich werden zu lassen, nämlich die Einrichtung des Passah. Das Töten des Lammes, das Sprengen seines Blutes und das Essen seines Fleisches waren prophetischer, vorbildlicher Natur.
Jesus erfüllte seinen Teil des Vorbildes, als er getötet wurde. Einzig dadurch, daß er seinen Willen für den Willen Gottes aufgegeben hat, war er fähig die Prophetien zu erfüllen, denn diese waren keine Anordnungen für die Menschheit im allgemeinen. Diese Prophetien enthielten einen Vorschlag von etwas, das nicht angeordnet wurde, sondern das nach Gottes Wunsch einmal durch jemand ausgeführt werden sollte, und durch das die Errettung der Menschheit und die Wiederherstellung aller durch Adam verlorengegangenen Dinge bewirkt werden sollte.
Bei der Durchführung der Versöhnungstagsopfer wurde das Blut ins Allerheiligste gebracht und als Vorbild die Versöhnung für Sünden bewirkt. Jesus führte einen Teil dieses Werkes hinaus. Seitdem befindet er sich in himmlischen Höhen und stellt der göttlichen Gerechtigkeit Genüge her für uns, die Kirche, was uns ermöglicht, durch unsere Taufe in seinen Spuren unseren Weg zu gehen. – Hebräer 9:24 Das ganze Evangeliumszeitalter hindurch nimmt er diese Gruppe von Menschen auf und wird ggf. deren Opfer darbringen. Dies wurde im Vorbild durch das Töten des Bockes Jahwes aufgezeigt.
Jesus hat, wie wir sehen, in diesen ganzen zweitausend Jahren ebenso wie während seines Dienstes auf Erden das Gesetz erfüllt. Und dieses Werk wird andauern bis ans Ende dieses Zeitlaufs. Er sagte, er sei nicht gekommen, um die Dinge des Gesetzes abzuschaffen, sondern sie zu erfüllen – Matthäus 5:17 -, und er wird die Erfüllung der Gesetzesvorbilder auch danach tausend Jahre fortsetzen, bis sie am Ende des Millenniums abgeschlossen sind. Einige dieser Dinge sind noch zukünftig, wie z. B. das Sprengen des Blutes des gegenbildlichen Sündenbocks und das Auftreten des gegenbildlichen Hohenpriesters zur Segnung des Volkes. Die durch Adams Ungehorsam entstandenen Verluste und alles, was durch Christi Verdienst der Menschheit zurückgegeben werden soll, wird in den tausend Jahren von Christi Herrschaft hinausgeführt.
Das durch Christi Tod erfüllte Element des Gesetzes
Das moralische Gesetz, die zehn Gebote, und der Bund mit Gott als dessen Bestandteil sicherten demjenigen Leben zu, der imstande sein würde, seine Anforderungen zu erfüllen. Jesus hätte durch die Befolgung dieser Dinge ewiges Leben haben können, denn das Gesetz verlangt nichts als Gerechtigkeit. Er hätte jedem Gebot des Gesetzes Folge leisten können, ohne eines seiner Rechte zu opfern. Die prophetischen Bestandteile des Gesetzes jedoch konnten nicht erfüllt werden, wenn nicht jemand sein Leben opferte, und wer das tun wollte, mußte das Äquivalent oder Gegenstück dessen sein, der gesündigt hatte. Da der Sündigende vollkommen gewesen war, im Bilde Gottes geschaffen, mußte derjenige, der einen vollgültigen Preis für die Erfüllung des Gesetzes und die dort verheißenen Segnungen des Volkes erbringen wollte, jemand sein, der das Gesetz ohne Einschränkung halten konnte. Allein solch ein Mensch würde dazu imstande sein, das Opfer darzubringen und so die prophetischen Elemente des Gesetzes erfüllen.
Jesus entsprach diesen Anforderungen voll und ganz; er war „heilig, schuldlos, unbefleckt, abgesondert von den Sündern” – Hebräer 7:26 -, alles, was die Gerechtigkeit erwarten konnte. Er hielt freudig das Gesetz, und er tat noch mehr. Er beabsichtigte alles zu tun, was im Buch stand, denn er sagte. „Siehe, ich komme; in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben.” – Psalm 40:7 Seine Weihung ging über das moralische Gesetz hinaus und umfaßte alles, was prophetisch niedergeschrieben war. Dieses alles erfüllte er. Daraus ergibt sich, daß er der Heiland ist: „Daher vermag er auch völlig zu erretten”. – Hebräer 7:25 – wer auch immer durch ihn zum Vater kommt.
Es ist undenkbar, daß Gott Anstoß nehmen würde an jemand, der die Forderungen des Gesetzes erfüllt, darüber aber nicht hinausgeht. Weil Gott gesagt hatte: „Wenn jemand dieses Gesetz hält, werde ich meinen Teil tun und ihm ewiges Leben geben”, konnte die Gerechtigkeit nicht mehr verlangen. Wenn nun diese Person nicht durch Opfer darüber hinausging, konnte die Gerechtigkeit nicht verletzt sein, denn sie konnte das Opfern nicht verlangen.
Tatsächlich fordert der Vater von den Gerechten dieses Zeitlaufs nicht zu opfern, noch erwartet Er dies dann von der Welt, wenn sie auf dem Weg zur menschlichen Vollkommenheit ist. Aber wenn nun Gott jedem Glied der Menschheitsfamilie die Gelegenheit gibt, sein Leben niederzulegen, indem es Seinen Willen tut, sollte dies als Privileg aufgefaßt und wertgeschätzt werden. Wenn jemand jedoch versäumt dieses zu tun, wird ihn der Vater nicht in den Tod schicken. Doch jeder, der den Herrn liebt, sollte denken: ’Das ist die Gelegenheit, Gott mein Vertrauen, meine Loyalität zu zeigen.’ So hat Jesu Beispiel für Engel und Menschen in alle Ewigkeit Bestand, damit die Information darüber, was etwa Gottes Wille sein würde, offenbar ist, und damit Menschen und Engel eifrig bestrebt sind, diesen Willen zu tun und sich nicht durch Bedenken und Zögern davon abhalten lassen.
Das ist auch eine Lektion in Liebe. Wir sollen uns nicht zufriedengeben mit dem Satz: ’Ich habe nicht gelogen, ich habe nicht gestohlen, ich habe meinem Nächsten gegenüber so gehandelt, wie ich es mir gegenüber hätte haben wollen.’ Das sollte uns nicht genügen. Niemand wird Leben auf welcher Daseinsstufe auch immer bekommen, wenn er nicht mehr tut als das. Es ist unser Vorrecht, Gottes Willen zuvorzukommen, indem wir die Vorbilder des Gesetzes und die Worte unseres Herrn und Hauptes beobachten. Wir sollen alle Dinge für Nichts erachten im Vergleich zu der uns bereiteten Chance. Nichts sollte für uns ein so großes Privileg darstellen als den Fußspuren Jesu zu folgen.