Verlag und Bibelstudien-Vereinigung e. V.

Zur Vollkommenheit übergehen

Lesedauer: 13 Minuten

„Darum wollen wir (jetzt) die Anfangslehre von Christus verlassen und zur Vollkommenheit übergehen, nicht abermals den Grund legen mit der Buße von toten Werken und dem Glauben an Gott, mit der Lehre von Taufen, von der Handauflegung, der Totenauferstehung und dem ewigen Gericht.” – Hebräer 6:1 und 2 (Schlachter-Übersetzung)

Die hier ausgesprochene Ermahnung des Apostels „zur Vollkommenheit überzugehen”, ist wie viele andere Schriftstellen oft sehr mißverstanden und falsch angewendet worden. Solch falsche Anwendung veranlaßt oft auch aufrichtige Bibelforscher andere Schriftstellen zu mißdeuten, indem sie den Fehler machen, diese nicht in den textlichen Zusammenhang zu bringen. Die großen Lehren und praktischen Wahrheiten der Bibel setzen sich immer in einer erzählerischen und logischen Ordnung oder Folge fort, und erscheinen nicht als eine Sammlung von unzusammenhängenden Versen. Wenn wir verfehlen, diese Tatsache in Betracht zu ziehen, so werden wir über die Bedeutung des Einzeltextes nahezu mit Sicherheit die falschen Schlußfolgerungen ziehen, und ihn nicht im Zusammenhang mit der göttlichen Offenbarung lesen. Dies trifft besonders auf die jetzt zur Betrachtung stehende Schriftstelle zu.

Wenn wir wahrhaft unterscheiden, worüber der Apostel in dieser Schriftstelle spricht, so werden wir erkennen, daß er die Wichtigkeit hervorhebt, im Glauben fest zu stehen, und uns selbst nicht dazu ermutigen, ohne Unterlaß nach neuen Theorien und neuen Erfahrungen zu suchen. Zusätzlich ist die „Vollkommenheit”, auf die er hier hinweist, die erstrebenswerte Eigenschaft des christlichen Charakters, die uns befähigt, den Einflüssen des Teufels, der Welt und sogar unseres eigenen Fleisches zu widerstehen, denn diese neigen dazu unseren Sinn zu verunsichern und uns in einen Zustand zu versetzen, in welchem wir leicht „von jedem Wind der Lehre fortgetragen werden”. – Epheser 4:14

An der anfänglichen Zuversicht festhalten

Anscheinend zeigten diese christlichen Hebräer aus irgendeinem Grund eine Neigung zur Unsicherheit, zu schwanken einerseits zwischen der Treue zu Gott und Seiner Wahrheit und andererseits zwischen dem Nachgeben gegenüber den Einflüssen der Welt, des Fleisches und des Teufels. In seinem Brief ermahnt der Apostel sie schon bald mit der Feststellung, „Deswegen müssen wir um so mehr auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht etwa (am Ziel) vorbeigleiten.” Sicherlich wollte der Apostel uns nicht dazu drängen, mehr auf die herrlichen Lehren Christi zu achten, um ein wenig später, in dem gleichen Brief, die Anweisung zu geben (wie einige behaupten), daß wir aufhören sollten, uns mit diesen Lehren zu befassen und auf einem anderen Weg „zur Vollkommenheit übergehen” sollten.

In Hebräer 3:13 und 14 fährt der Apostel Paulus fort: „Ermuntert einander jeden Tag, solange es ‚heute‘ heißt, damit niemand von euch verhärtet werde durch den Betrug der Sünde. Denn wir sind Teilhaber des Christus geworden, wenn wir die anfängliche Zuversicht bis zum Ende standhaft festhalten.” Sicherlich wollte der Apostel hier nicht die Wichtigkeit dieser anfänglichen Zuversicht oder Begeisterung anmahnen, die wir am Anfang für die Wahrheit empfanden, als die wirkliche Grundlage, auf der wir hoffen, Teilhaber des Christus zu werden, um dann drei Kapitel danach anzudeuten, daß wir diesen Zustand verlassen oder aufgeben sollten, um zu einer unbekannten, visionären oder mystischen Beschaffenheit von Herz und Sinn überzugehen, die mißverständlich als „Vollkommenheit” bezeichnet wird.

Dann lesen wir im Kapitel 10:23 und 24: „Laßt uns das Bekenntnis der Hoffnung unwandelbar festhalten – denn treu ist er, der die Verheißung gegeben hat.” Hier finden wir wiederum die Ermahnung festzuhalten, nicht zu wanken, nicht mißmutig und unzufrieden zu sein, weil wir nicht ständig neue und mitreißende Erfahrungen machen und „neues Licht” finden. Dies steht genau im Gegensatz zu den Theorien, die oft irrtümlich den Worten des Apostels im 6. Kapitel zugrunde gelegt werden, entsprechend zur Vollkommenheit überzugehen.

„Gedenkt der früheren Tage”

In Hebräer 10:32 führt Paulus diesen unbeständigen hebräischen Brüdern ein edles Beispiel christlicher Erfahrung vor Augen, indem er sagt: „Gedenkt aber der früheren Tage, in denen ihr, nachdem ihr erleuchtet worden wart, viel Leidenskampf erduldet habt.” Vergleichen wir diesen Schrifttext mit Kapitel 6, Verse 10 und 11, wo es heißt: „Denn Gott ist nicht ungerecht, euer Werk zu vergessen und die Liebe, die ihr zu seinem Namen bewiesen habt, indem ihr den Heiligen gedient habt und dient. Wir wünschen aber sehr, daß jeder von euch den selben Eifer um die volle Gewißheit der Hoffnung bis ans Ende beweise.” Es gibt keinen Irrtum darüber, was die Bedeutung dieser Worte betrifft.

Es ist klar, daß diese Hebräer zu Beginn ihrer christlichen Erfahrungen eifrig gewesen waren, aber aus irgend einem Grund nachlässig geworden waren. Wenn sie zu ihrer „ersten Liebe” zurückkehren und fest darin verharren könnten, wäre dies ideal – es würde die „Vollkommenheit” der christlichen Erfahrung sein, für die der Apostel eintrat. Aus diesem Grund ermahnt er sie im 10. Kapitel „der früheren Tage zu gedenken”. Dies war ein sehr praktischer Weg, sie auf die Wichtigkeit der „ersten Liebe” in ihrem christlichen Leben eindrücklich hinzuweisen.

Das ganze 11. Kapitel dieses bemerkenswerten Briefes an die Hebräer ist einer Betrachtung des Glaubens gewidmet. Paulus diskutiert die Art des Glaubens, die seinen Besitzer befähigt, standhaft und unerschütterlich an den Verheißungen Gottes festzuhalten – den Messianischen Verheißungen – und bis zu seinem Ende eifrig für das herrliche Evangelium Christi tätig zu sein. Die Patriarchen und Propheten sind von den Aposteln als wundervolle Beispiele des Glaubens an Gottes Verheißungen gezeigt worden. Dann mit Beginn des 12. Kapitels ist Jesus als das krönende Beispiel des Glaubens vor uns erhoben worden. Dies wurde nicht getan, um uns zu ermutigen einer trügerischen Blase spekulativer menschlicher Philosophie nachzugehen – einem Nachjagen, das zu nichts führt, und gewöhnlich jemand in einem Labyrinth von Verwirrung und Zweifel läßt – sondern um uns die Wichtigkeit erkennen zu lassen, größere Vorsicht gegenüber den Dingen auszuüben, die wir gehört haben, und uns zu größerer Treue zu ermutigen in dem Niederlegen unseres Lebens in den Dienst Gottes, so wie es unser geliebter Erlöser getan hat.

Der schlimme Zustand von denen, die „wegfallen”

Nachdem wir dieses Thema nur kurz berührt haben, das in dem Brief des Paulus an die Hebräer im Detail behandelt wird – Standfestigkeit im christlichen Glauben, Hoffnung und Dienst – wollen wir nun beachten, wie klar dieser Gedanke in dem Kapitel fortgesetzt wird, von dem wir unseren Leittext genommen haben. Nachdem er uns ermahnt hat zur Vollkommenheit überzugehen, fährt der Apostel fort: „Denn es ist unmöglich, diejenigen, die einmal erleuchtet worden sind und die himmlische Gabe geschmeckt haben und des Heiligen Geistes teilhaftig geworden sind und das gute Wort Gottes und die Kräfte des zukünftigen Zeitalters geschmeckt haben und (doch) abgefallen sind, wieder zur Buße zu erneuern, da sie für sich den Sohn Gottes wieder kreuzigen und dem Spott aussetzen.” – Hebräer 6:4 – 6 Vergleichen wir den nachfolgenden Teil dieser Schriftstelle mit dem Ausdruck im 1. Vers: „… und nicht wieder einen Grund legen mit der Buße von toten Werken und dem Glauben an Gott.”

Die Bedeutung des allgemeinen Argumentes des Apostels, das sich hier fortsetzt, kann nicht mißverstanden werden, das im besonderen darin besteht, im Glauben und in dem Dienst für Gott bewährt zu sein. Er präsentiert uns dieses Argument so nachhaltig, er zeigt, daß, wenn wir nicht so bewährt sind, dies bedeuten würde, daß die Grundlage mit der Buße von „toten Werken”, die zuvor gelegt und entworfen wurde, um ein dauerhafter nicht zeitlicher Teil unseres Lebens zu sein, nicht erneuert werden kann. Tatsächlich wurde jener Grund gelegt, um während unseres ganzen geweihten Wandels für uns bestehen zu bleiben, als der beständige und unveränderliche Grund unseres Dienstes für Gott.

An späterer Stelle des Kapitels fährt Paulus fort, sie an die sichere Grundlage des Glaubens und der Hoffnung zu erinnern, welche der Himmlische Vater vorgesehen hat. Er sagt, daß diese herrliche Hoffnung in jener allumfassenden Verheißung, die dem Abraham gegebenen wurde, ihren Mittelpunkt findet – der Verheißung, die durch Gottes Wort und Seinen Eid verbürgt wurde. „Deshalb hat sich Gott, da er den Erben der Verheißung die Unwandelbarkeit seines Ratschlusses noch viel deutlicher beweisen wollte, mit einem Eid verbürgt, damit wir durch zwei unveränderliche Dinge, bei denen Gott (doch) unmöglich lügen kann, einen starken Trost hätten, die wir unsere Zuflucht dazu genommen haben, die vorhandene Hoffnung zu ergreifen. Diese haben wir als einen sicheren und festen Anker der Seele, der in das Innere des Vorhangs hineinreicht.” – Hebräer 6:17 – 19

Wie wichtig ist es, was Paulus als den idealen Zustand für einen Christen darlegt, mit den sicheren Verheißungen Gottes „verankert” zu sein, – sogar mit den Verheißungen, die mit Seinem Eid-Bund zu tun haben, alle Geschlechter der Erde durch den Samen Abrahams zu segnen. Diese Tatsache wird noch offenkundiger, wenn wir das Argument des Apostels mit seinem Gebrauch des Wortes „Vollkommenheit” in Verbindung bringen, wie es in dem Leittext, den wir betrachten, geschieht. Um dies völlig wertzuschätzen, ist es jedoch nötig, daß wir uns daran erinnern, daß dieser Brief sich an Hebräer wendet und zu dem besonderen Wohl der zum Christentum übergetretenen Hebräer geschrieben wurde. Dies soll jedoch nicht sagen, daß Juden und Nationen als Christen irgendeinen unterschiedlichen Stand vor Gott hätten, noch daß sie verschiedene Gesellschaften oder Klassen als Neue Schöpfungen darstellen. Der Apostel zeigt jedoch, wie die Evangeliumsbotschaft angewendet werden kann, um auf die besonderen Probleme der Juden als auch der anderen Gruppen einzugehen, die unter ihren gesegneten Einfluß kommen.

Schatten gegenüber Substanz

Während Christen von den Nationen all die hilfreichen Ermahnungen dieses Briefes auf sich selbst anwenden können und sollten und dadurch geistig gestärkt werden, können wir doch sehen, daß der weise Apostel diese hebräischen Christen besonders anspricht, und die Verheißungen des Evangeliums auf ihre eigenen besonderen Probleme anwendet. Für diese Juden bestand die Gewohnheit darin, Gott auf der Grundlage des Gesetzesbundes zu dienen, aber Paulus wollte, daß sie erkennen, daß diese Anordnungen nur vorbildlich waren – ein „Schattenbild” von etwas Besserem, das später kommen sollte. Er sagt: „Denn da das Gesetz, einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst hat, so kann es niemals mit denselben Schlachtopfern, die sie alljährlich darbringen, die Hinzunahenden für immer vollkommen machen. Denn würde sonst ihre Darbringung nicht aufgehört haben, weil die den Gottesdienst Übenden, einmal gereinigt, kein Sündenbewußtsein mehr gehabt hätten? Doch in jenen (Opfern) ist alljährlich ein Erinnern an die Sünden… .” Viele hebräische Christen hatten die Tatsache nicht völlig begriffen, daß der Gesetzesbund nun unwirksam war, und daß es für sie nicht länger notwendig war, damit fortzufahren immer und immer wieder „den Grund zu legen mit der Buße von toten Werken” des Gesetzes, wie sie es in der Vergangenheit getan hatten. Sie hatten nicht völlig begriffen – hatten vielleicht vergessen, oder sonst einen Mangel an Glauben bekundet. „Und jeder Priester (der Gesetzesbundeinrichtungen) steht täglich da, verrichtet den Dienst und bringt oft dieselben Schlachtopfer dar, die niemals Sünden wegnehmen können”, doch jetzt hat Christus „mit einem Opfer die, die geheiligt werden, für immer vollkommen gemacht”. – Hebräer 10:11 und 14

Zur weiteren Bestätigung dieser gleichen Tatsache fügt Paulus hinzu: „Denn wie viel mehr wird das Blut des Christus, der sich selbst durch den ewigen Geist als (Opfer) ohne Fehler Gott dargebracht hat, euer Gewissen reinigen von toten Werken, damit ihr dem lebendigen Gott dient” – Hebräer 9:14 Die Schwierigkeiten hinsichtlich der Lehre dieser hebräischen Christen werden offenbar. Während sie am Anfang nachweislich mit Eifer an dem Evangelium Christi festgehalten hatten, hatten sie durch Mangel an einem beständigen Glauben oder vielleicht an Mangel eines völligen Verständnisses der wirklichen Wirksamkeit des vergossenen Blutes Christi damit begonnen, in ihre alten Gewohnheiten des jüdischen Gedankens und des Formalismus zurückzufallen, um wiederum auf jährliche Zeremonien zu setzen. Sie versuchten die vorbildlichen Zeremonien des Mosaischen Gesetzes mit ihrem Glauben und ihrem Dienst für Gott durch Christus zu mischen – nicht erkennend, daß Jesus, als Gegenbild das Vorbild zuende gebracht und „an sein Kreuz genagelt hatte”. – Kolosser 2:14
Nur die eine Grundlage der Buße

Aus diesem Grund argumentiert Paulus für sie die Sache im Detail, hinweisend auf die Tatsache, daß all die wundervollen Lehren, die vorbildlich durch das Gesetz und den Dienst in der Stiftshütte gelehrt wurden – ja, die sogar bis auf die Zeit Melchisedeks zurückgingen – in und durch Christus erfüllt sind, und in denen, die eingeladen sind, mit ihm „Teilhaber” an dem „Himmlischen Ruf” zu sein. – Hebräer 3:1 Paulus zeigt, daß sogar die Einrichtungen des Neuen Bundes des nächsten Zeitalters abhängig sind von dem einen Opfer dieses gegenbildlichen Hohenpriesters. Wenn nun diese Hebräer stattdessen vollen Glauben in Christus und sein vergossenes Blut ausüben, und genau an den Verheißungen der Miterbschaft mit ihm in dem Königreich festhalten könnten, so würden sie nicht fortfahren wieder einen Grund zu legen mit der Buße von toten Werken, wie es unter dem Mosaischen Gesetz ihr Brauch gewesen war.

Paulus sagt nicht, daß es nicht notwendig sei, eine passende Grundlage der Buße an die erste Stelle zu setzen, noch daß es nicht nötig sei, an dieser Grundlage festzuhalten. Vielmehr, weil der wahre Grund der Buße für einen Christen, ob er nun aus den Juden oder den Nationen kommt, auf die beständige Wirksamkeit des Blutes Christi beruht, bleibt es garantiert und zuverlässig der einzige wirkliche Grund, auf dem wir uns Gott nähern und Ihm annehmbar dienen können.

Gehen wir als Christen in der wahren Bedeutung des Apostelwortes zur Vollkommenheit? Werden wir im Glauben mehr und mehr verwurzelt und gegründet, in den großen Wahrheiten des Planes Gottes und des Evangeliums Christi? Werden wir uns der Tatsache tiefer bewußt, daß das Blut Christi uns wirklich von aller Sünde reinigt, und daß wir aufgrund dessen „zu aller Zeit mit Freimütigkeit zum Thron der Gnade kommen können, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zur rechtzeitigen Hilfe”?

Ist die Wahrheit mit jedem kostbaren Bestandteil für uns täglich eine größere Wirklichkeit? Ist unser Glaube felsenfest, befestigt mit dem Anker unserer himmlischen Hoffnung? Wird dieser Glaube fortwährend halten, und uns darin stärken, immer begeisterungsfähig gegenüber Gott und seine Verheißungen zu bleiben? Sind wir jetzt so begeisterungsfähig – jetzt so eifrig und sogar noch mehr – als wir es zuerst waren, als wir erleuchtet wurden? Wenn dem so ist, dann können wir uns darüber freuen, daß diese Ermahnung des Apostels mehr und mehr in unserem täglichen christlichen Leben verwirklicht ist – daß wir wirklich auf Gottes vorgesehenem Weg zur Vollkommenheit voranschreiten.

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