Verlag und Bibelstudien-Vereinigung e. V.

Das Gebet Hiobs

Wir sollten nicht annehmen, die Antwort auf die eben aufgeworfene Frage zu wissen, sondern wollen unsere Untersuchung weiter fortsetzen. Ein anderer gottesfürchtiger Mann war der Prophet Hiob. Die Bibel sagt uns, dass er „vollkommen [untadelig]“ vor Gott wandelte. (Hiob 1:1; Elberfelder Bibel) Hier haben wir einen so heiligen Menschen, dass er würdig zu sein schien, bei seinem Tode unmittelbar in den Himmel aufgenommen zu werden. Er war nicht nur zu gut, um in die traditionelle Hölle der Qual zu kommen, sondern nach dem Bericht war seine Untadeligkeit derart, dass wir ihn ohne weiteres für würdig halten würden, in den Himmel zu kommen, um bei Gott und seinen Engeln zu sein. Hiob aber rechnete nicht damit, in den Himmel zu kommen!

Obgleich Hiob als ein rechtschaffener Mensch angesehen wurde, ließ Gott es zu, dass viel Elend und Leid über ihn kam. Wir haben alle von der „Geduld Hiobs“ im Ertragen dieser erprobenden Erfahrungen gehört. (Jakobus 5:11) Bei einer Gelegenheit aber empfand Hiob, dass für ihn das Sterben besser sein würde, als weiter die Qualen der Krankheit und den Unwillen seiner Freunde und Verwandten, einschließlich seiner Frau, zu ertragen. Deshalb bat er Gott, ihn sterben zu lassen. In der Tat, er drängte Gott, ihn zu vernichten, und betete: „Ach dass du mich in der Hölle verdecktest und verbärgest, bis dein Zorn sich lege.“ — Hiob 14:13

Das von Hiob gebrauchte hebräische Wort, das in dem eben angeführten Gebet mit „Hölle“ übersetzt wird, ist Scheol, die Bibelhölle. In der Tat, Wahrheit ist seltsamer als Dichtung. Hier war ein Mensch, der bereits unsagbare körperliche und seelische Leiden erduldete. Seine Kinder waren getötet worden. Seine Herden waren fort. Seine Frau hatte sich gegen ihn gewandt, und er war mit einem ekelhaften Hautausschlag bedeckt. Ganz gewiss wollte er Gott nicht darum bitten, ihn an einen Platz zu bringen, wo sein Leiden noch vermehrt und es für ihn keine Hoffnung auf Entrinnen geben würde!

Warum betete Hiob darum, in die Hölle zu kommen? Weil er als einer der inspirierten Diener Gottes wusste, dass die Hölle ein Zustand des Friedens und der Ruhe ist. Salomo, der weiseste Mensch des Alten Testamentes und einer der inspirierten Schreiber Gottes, erklärt, dass im Scheol oder in der Hölle es weder „Tun“ noch „Berechnung“, noch „Kenntnis“ noch „Weisheit“ gibt. (Prediger 9:10) Zweifellos wusste dies Hiob, und das war der Grund für sein Gebet zu Gott, ihn sterben und zur Hölle gehen zu lassen.

Hiob war der Leiden müde und wollte sie beenden. Er wusste, dass er im Tode Befreiung von seinen Leiden und nicht Vermehrung derselben finden würde. Dies wird im 3. Kapitel des Buches, welches seinen Namen trägt, weiter ausgeführt. Dort fragt Hiob, warum er nicht starb, als er ein kleines Kind war. Er weist darauf hin, dass er in diesem Falle nicht all das Leid erduldet hätte, das er durchmachte. Er erklärt, dass er beim Tode im Kindesalter nun „läge“, „still wäre“, „schliefe“ und „Ruhe“ hätte.

Aber nicht nur das, sondern Hiob würde, wie er weiter erklärt, diesen Zustand des Friedens und der Ruhe — der Bewusstlosigkeit — mit „den Königen und Ratsherren der Erde“, mit „den Kleinen und Großen“, mit „den Fürsten“ und „Gottlosen“ teilen. In diesem „Zustand der Toten“, erklärt Hiob, „müssen doch aufhören die Gottlosen mit Toben; daselbst ruhen doch, die viel Mühe gehabt haben“. Er versichert uns auch, dass die Toten in diesem Zustand „nicht die Stimme des Drängers“ hören. — Hiob 3: 13-19

Das sind überraschende Tatsachen! Sie enthüllen, dass beim Tode Säuglinge, Könige, Fürsten, Politiker, bedeutende und geringe Menschen, die Gottlosen und die Müden, alle an den gleichen Ort gehen, an den einen Ort des Friedens, der Ruhe und des Schlafes — der Bewusstlosigkeit. Kein Wunder, dass der von seiner Frau und seinen Freunden verlassene und mit Beulen geplagte Hiob betete, an einen solchen Ort zu kommen. Auch ist ganz offensichtlich, dass sein Verständnis der Hölle völlig verschieden war von der Auffassung vieler Menschen von heute.

Und noch etwas anderes kommt durch diesen inspirierten Bericht über Hiob und seine Erfahrungen ans Licht. Während er darum betete, in die Hölle zu gelangen, tat er es nicht in der Erwartung, dass er für immer dort verbleiben sollte; denn in seinem Gebet drückte er seinen Glauben aus, dass er später aus diesem Todeszustand herausgerufen würde. Er betete: „Ach dass du mich in der Hölle [Scheol] verstecktest …, bis dein Zorn sich lege, und setztest mir ein Ziel, dass du an mich dächtest … Du würdest rufen und ich dir antworten, es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände.“ — Hiob 14:13, 15

Hieraus ersehen wir, dass Hiob nur so lange in der Bibelhölle verbleiben wollte, bis Gottes „Zorn“ vorüber wäre. Hier ist wiederum ersichtlich, dass Hiobs Auffassung sehr von derjenigen vieler aufrichtiger Menschen abweicht. Diese glauben, dass die Hölle ein Ort ist, wo Gott die Sünder mit seinem Zorn heimsucht; aber gemäß diesem inspirierten Bibelbericht finden wir einen guten Menschen — einen heiligen Mann — darum beten, dass er in die Hölle kommen möchte, um Gottes Zorn zu ENTFLIEHEN, und darum bitten, in der Hölle zu verbleiben, bis jener Zorn vorüber ist.

Was meinte er? Was bedeutet dieser „Zorn“ Gottes, auf den Hiob sich bezieht? Paulus erklärt, dass dieser „Zorn“ vom Himmel her über alle Ungerechtigkeit geoffenbart wird. (Römer 1:18) Er ist der Fluch der Sünde und des Todes, welcher als das Ergebnis der ursprünglichen Sünde unserer ersten Eltern über das Menschengeschlecht kam. Der große Apostel Paulus erklärt, dass „die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist“. (Römer 5:18) Diese Verdammnis führte zum Tode.

Der Tod also ist die Bekundung des Zornes Gottes gegen eine sündige Welt. Er ist des Menschen größter Feind, und seine Verbündeten sind Krankheit und Schmerzen. (1. Korinther 15:26) Die ganze Welt leidet also, weil der gerechte Gott die Sünde nicht dulden kann. Sein Zorn wird geoffenbart gegen alle Ungerechtigkeit, und jedes Glied des gefallenen Geschlechtes teilt die Todesstrafe, die seit Edens Tagen von Geschlecht zu Geschlecht fortgeschritten ist.

Hiob erduldete mehr als das gewöhnliche Maß der Leiden, welche die Welt wegen des Zornes Gottes durchmacht; daher betete er um die Befreiung hiervon im Tode, um weiteren Qualen zu entgehen. Er wollte in der „Hölle“ nur solange verborgen bleiben, bis Gottes Zorn vorüber war, um dann wieder auf die Erde zurückgerufen zu werden. Dass Hiob zu einer solchen Hoffnung berechtigt war, wird durch die Verheißung Jesu bestätigt, dass eine Zeit kommen wird, in welcher „alle“, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und „hervorgehen“ werden.— Johannes 5:28, 29

Wie der treue und inspirierte Hiob die Sache ansah ist die traditionelle Ansicht über die Hölle demzufolge von mindestens drei wichtigen Gesichtspunkten aus falsch: (1) Sie ist kein Ort, wo Gottes Zorn die Sünder heimsucht; sie ist vielmehr ein Zustand, in welchem sowohl Sünder als auch Heilige dem Leiden entgehen, das infolge des Zornes Gottes in der Welt ist. (2) Sie ist ein Zustand der Bewusstlosigkeit, daher der Ruhe, und kein Ort des Leidens. (3) Und noch wichtiger ist, dass diejenigen, welche in die biblische „Hölle“ gehen, dort nicht für immer verbleiben, wie gewöhnlich geglaubt wird, sondern zurückkehren und eine Gelegenheit erhalten sollen, auf der Erde in einer Zeit zu leben, da Sünde und Tod ausgerottet sein werden.

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