Verlag und Bibelstudien-Vereinigung e. V.

Der Heilige Geist

Lesedauer: 7 Minuten

„Und sie wurden alle mit Heiligem Geiste erfüllt.” – Apostelgeschichte 2:4

In den unserem Leittext vorausgehenden Ausführungen der Apostelgeschichte ging es um die Zusage des Heiligen Geistes, des Trösters, und um die Anweisung an die Apostel und Gläubigen, in Jerusalem zu bleiben, bis sie mit der Kraft von oben ausgerüstet wären für ihren Dienst, den ihnen der Herr aufgetragen hatte: allen Menschen das Evangelium zu predigen. Es ging auch um die Art und Weise, wie der Herr seinen Nachfolgern seine Auferstehung, seine Verwandlung von der menschlichen zur geistigen Natur und seine Auffahrt zum Vater bewies. Dabei erklärte der Herr auch, daß er in ein weit entferntes Land gehen würde, daß er in sein Amt als König eingesetzt werden sollte, und daß er wiederkäme und seine Getreuen zu sich holen würde.

In der Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten wird von manchen die Erfüllung der Zusage des Herrn „wiederzukommen” gesehen. Aber nichts in diesem Ereignis kann weiter entfernt sein von den Worten des Herrn und von den Erwartungen der Apostel als der Gedanke seiner unmittelbaren Wiederkunft, wie im Folgenden dargelegt werden soll.

Als der Herr zu den Aposteln sagte, daß er wiederkäme und sie zu sich nähme, sagte er auch, daß sie bis zum Ende des Zeitalters während seiner Abwesenheit das Evangelium der ganzen Welt zum Zeugnis predigen sollten. Er machte ihnen klar, daß sie währenddessen verfolgt werden und von den Menschen um seinetwillen verachtet werden würden, und daß sie zu diesem großen ihnen aufgetragenen Werk zunächst nicht fähig sein würden, und sie es deshalb erst anfangen sollten, wenn sie „mit der Kraft von oben” ausgestattet würden. Dies sei die Verheißung des Vaters, der Beweis Seiner Anerkennung, der Vorgeschmack Seines Segens, der vollendet wird in der Verherrlichung der Kirche im Reich Gottes. – Römer 8:23 Der Herr sagte nicht, daß der Heilige Geist er selbst ist, sondern daß der Geist nur eine Kraft oder ein Einfluß ist, der vom Vater und von ihm ausgeht. – Apostelgeschichte 1:4 und 5

Keiner der Apostel hatte den Gedanken, daß der Heilige Geist der Herr ist, noch daß dessen Ausgießung die zweite Gegenwart war. Ganz im Gegenteil: Sie sprachen von der Ausgießung als vom „Unterpfand” oder von den „Erstlingsfrüchten” des Geistes, eine göttliche Segnung für die Kirche. In seiner Ansprache in der Kraft des Heiligen Geistes sagte der Apostel Petrus, nachdem er den Tod und die Auferstehung Christi erläutert hatte: „Nachdem er nun durch die Rechte Gottes erhöht worden ist und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfangen hat, hat er dieses ausgegossen, was ihr sehet und höret.” – Apostelgeschichte 2:33 Aus keiner Andeutung geht irgend hervor, daß ‚dieses‘, die Ausgießung des Geistes, das zweite Kommen des Herrn ist, wird doch an gleicher Stelle erklärt, daß der Herr zu diesem Zeitpunkt hoch erhöht beim Vater war und Geist oder Kraft auf seine Kirche strömen ließ, nachdem der Vater durch die Versöhnung, die er durch seinen Opfertod bewirkt hatte, ihm die Macht dazu gegeben hatte.

Einen besseren Beweis dafür, daß die Apostel die Ausgießung des Heiligen Geistes nicht als das zweite Kommen des Herrn, als die Aufrichtung seines Reiches usw. verstanden, konnte es nicht geben als die Tatsache, daß sie in ihren Ansprachen unter dem Einfluß dieser wundersamen Macht ständig und mehrfach die Kirche ermahnten, auf noch größere Segnungen bei der Wiederkunft des Herrn zu warten und damit zu rechnen, und daß sie den Zuhörern versicherten, daß das bisher Empfangene nur ein Vorgeschmack ist. Nicht nur einer der Apostel weist auf das spätere zweite Kommen des Herrn hin, sondern alle haben das getan – Paulus, Petrus, Jakobus, Judas und Johannes weisen sehr nachdrücklich auf das zweite Kommen des Herrn hin als auf die größte Hoffnung und den mächtigsten Ansporn für Glauben, Mut, geduldiges Ausharren und Hoffnung für die Dinge, die uns zuteil werden bei der Offenbarung unseres Herrn und Erlösers Jesus Christus. Jene Interpretatoren der Schrift aber, die in dem Bestreben, die Aufmerksamkeit von Gottes Volk von der ihm bereiteten Hoffnung des Evangeliums, von der „herrlichen Erscheinung unseres Herrn und Heilands Jesus Christus” abzuziehen und ihnen nahezulegen, daß die zweite Gegenwart unseres Herrn an Pfingsten stattgefunden hat, machen sich einer groben Fehldeutung des Wortes Gottes schuldig. Angesichts der Fülle von Zeugnissen gegen diesen Standpunkt und des Fehlens von Zeugnissen, die ihn etwa stützen, ist es sicher nicht weit hergeholt, von einer bewußten „Verdrehung der Schrift” zu sprechen.

Trotz herrschender Irrtümer über dieses Thema sollten wir das Licht im Licht des Herrn sehen und uns nicht durch eigene oder anderer Leute Finsternis durcheinanderbringen lassen. Wie befremdlich wäre es denn für den Apostel Johannes in seiner fast 60 Jahre nach dem Pfingstereignis erfolgten bedeutsamen Vision, der Offenbarung, die zu unserer Information aufgezeichnet werden sollte, und die Symboldarstellungen von Vorgängen des Evangeliumszeitalters, von dessen Endphase, vom zweiten Kommen Christi, vom Gerichtstag im Millennium, von der schließlichen Vernichtung Satans und des Bösen und von der Aufrichtung des ewigen Reiches Gottes danach – wie befremdlich und unlogisch wären alle diese Abläufe, wenn die zweite Gegenwart unseres Herrn 60 Jahre zuvor stattgefunden hätte, wenn Johannes, zwar vom Heiligen Geist segensreich überwaltet und ausdrücklich inspiriert zur Unterweisung der Kirche, völlig unwissend im Bezug auf die Wahrheit gelassen worden wäre, als er sagte: „Komm, Herr Jesus, komm bald!”

In Apostelgeschichte 2 Vers 2 heißt es nicht, daß der Heilige Geist wie ein starker Wind kam, sondern es heißt, daß ein Geräusch wie von einem starken Wind zu hören war. Ein Wind ist eine unsichtbare Kraft, und so ist der Heilige Geist eine unsichtbare Kraft. Daher war das Windgeräusch als Symbol für den Heiligen Geist überaus passend, und es war das Mittel der Wahl, die Aufmerksamkeit der Apostel auf die über sie kommende wunderbare Segnung zu lenken. Etwas Besseres für jene unsichtbare Kraft, mit der sie ausgestattet wurden, ist nicht vorstellbar. Das Wort „Geist” kommt von den selben griechischen und hebräischen Worten wie die Worte „Atem” und „Wind”: nicht daß der Heilige Geist etwa nur Atem oder Wind wäre; doch im Symbol stellt nichts anderes Gottes unsichtbare Kraft so treffend dar.

Auch die zerteilten Zungen oder feuerähnlichen Lichter auf ihren Köpfen waren genauso offensichtlich symbolischer Natur und stellten Erleuchtung dar, die Einsicht, die durch den Geist geschieht. Dieser hätte mit gleicher Kraft ohne Windgeräusch oder Feuerzungen über sie ausgegossen werden können; doch diese äußeren Zeichen hatten zweifellos den Zweck, daß die Kirche die Situation voll erfaßte, daß sie auf die damit verbundene Segnung eingestellt war und sie wertschätzte, und daß die Sache bemerkenswerter und erfreulicher für sie war.

In dem Saal, in dem sich diese Ausgießung des Heiligen Geistes ereignete, waren damals 120 Gläubige. Sie alle wurden mit dem Geist erfüllt, der im ganzen Haus zugegen war. Ob aber die Feuerzungen auf anderen Personen als den Aposteln verweilten oder nicht, kann man nicht mit Gewißheit sagen. Es ist denkbar, daß sie nur auf den Aposteln gesehen wurden, könnte sie als Mundstücke des Geistes herausgehoben haben. Gewiß und vernünftig anzunehmen ist, daß die Apostel allein diejenigen waren, die anschließend predigten, was in verschiedenen Sprachen gehört wurde. Der Text sagt ja: „Siehe, sind nicht alle diese, die da reden, Galiläer?” – Apostelgeschichte 2 Vers 7 Es ist unwahrscheinlich, daß alle 120 anwesenden Personen Galiläer waren, eher kann man annehmen, daß die meisten Judäer waren; aber die elf Apostel waren alle aus Galiäa, und deshalb spricht vieles dafür, daß allein sie gepredigt haben und auch die Feuerzungen im Obersaal nur an ihnen zu sehen waren.

Die Zahl der Israeliten oder Juden, die in den umgebenden Ländern „verstreut unter den Heiden” wohnten, wo sie ihren Geschäften nachgingen, war weit größer als die Zahl der Einwohner des jüdischen Palästina. Unter ihnen herrschten jedoch Verehrung und Zuneigung zum Heiligen Land und zum Gesetz; in diesem war vorgeschrieben, daß man zumindest repräsentativ beim Passah oder zu Pfingsten zusammenkommen sollte. Daher kamen sehr viele aus den umgebenden Ländern nach Jerusalem als Abgesandte von Familien und Gemeinden, um bei der Gelegenheit den Zehnten zu entrichten und im Tempel zu beten und zu opfern. Gemäß einer zu Neros Zeit durchgeführten Volkszählung versammelten sich mehr als 2.700.000 Personen zum Passah, und eine noch größere Anzahl zu Pfingsten. Die letztgenannte Personenzahl zu Pfingsten erklärt sich zweifellos daraus, daß dieses Fest im Sommer stattfand. Diese vielen Leute kamen nicht aus bloßer Neugierde, sondern waren fromme Menschen.

Man kennt die Länder, aus denen viele von ihnen kamen; sie befinden sich in einem Radius von mehreren hundert Kilometern um Israel und gehören zu den aufgeklärtesten Teilen der damaligen Welt. Auch wenn Griechisch die vorherrschende Sprache der Zeit für Verwaltungsdinge und unter den Gebildeten war, beherrschte die Mehrheit der Leute im Wesentlichen nur ihre Muttersprache bzw. ihren heimatlichen Dialekt, und auch die Art des Gottesdienstes in Jerusalem erforderte nicht, daß man die dortige Sprache besonders gut konnte. Man kam zusammen, um anzubeten und Opfer darzubringen, weniger, um Predigten zu hören. Zweifellos aber zielte die Anordnung des Herrn durch Mose bezüglich dieses Festes darauf ab, die Gelegenheit zur Verbreitung der frohen Botschaft unseres Schriftberichts zu nützen. Und das dort vernommene Zeugnis der Apostel wurde ganz sicher in jede Ecke weitergetragen – wenn auch meist nicht so machtvoll, daß die Menschen sich zu Christus bekannten, so doch wirksam genug, um in gewissem Umfang den Weg zu bereiten für die Botschaft, die durch die Apostel und ganz allgemein durch Gläubige in der ganzen Welt verbreitet werden sollte. Diese Träger der Botschaft wurden, bedingt durch die ummittelbar folgenden Christenverfolgungen in Jerusalem, vielfach vertrieben und gingen „überall hin” und predigten das Evangelium.

Auch wenn die zuvor genannten Menschen religiös gesinnte, fromme Leute waren, scheint das Wunder der Apostel, die in verschiedenen Sprachen gehört und verstanden wurden, mehr bewirkt zu haben als einige neugierig zu machen; andere schlossen daraus auf eine üble Ursache, auf Trunkenheit. So versuchte Satan, der darauf aus war, unseren Herrn als „Weinsäufer” und vom obersten der Dämonen, Beelzebub, besessen hinzustellen, die Leute davon abzuhalten, daß sie die Evangeliumsbotschaft hörten, die mit Macht vorgetragen wurde, aus dem Himmel kam und sich in wunderbaren Zeichen kundtat. Damals wie heute wurde Gottes Volk von sogenannten frommen Leuten verleumdet.